Warum braucht man zum Muskelaufbau Proteine UND Kohlenhydrate?


Klar, wer mehr Muskeln will, muss Proteinzuführen. Und ohnehin sollte man die Kohlenhydrate eher weglassen, dann schwinden auch die Fettreserven leichter. Dieses Wissen hat sich im kollektiven Gedächtnis gut etabliert. Eiweißreiche und kohlenhydratarme Ernährungsformen gelten seit Langem als der Goldstandard in der Fitnessszene – egal ob man als Frau endlich ein paar Liegestütze am Stück schaffen will oder ob man als Mann das Sixpack an- und freilegen möchte.

Dieses strikte Vermeiden von Carbs fällt aber manchen ziemlich schwer. Es kann sogar zu Symptomen wie Müdigkeit, Verstopfung, Kopfweh und mehr führen. Ohnehin scheint es, als könnte diese Verteufelung der Carbs übertrieben sein. Im Gegenteil, sie tragen womöglich sogar wesentlich zum Muskelaufbau und damit zur angepeilten Figurform bei.

Genauer erklärt entsteht Muskelwachstum durch ein Gleichgewicht zweier Prozesse: der Muskelproteinsynthese, bei der neues Muskelgewebe gebildet oder beschädigtes repariert wird, und dem Muskelproteinabbau, bei dem, wie der Name schon sagt, Muskelgewebe abgebaut wird. Diese beiden Prozesse finden ständig statt, deshalb beeinflussen das Ausmaß und das Gleichgewicht zwischen den beiden den Gesamtzuwachs an Muskelmasse.

Eine zielgerichtete Ernährung kann dazu beitragen, diesen Prozess zu unterstützen. Proteine sind ein essenzieller Bestandteil davon, da sie Aminosäuren wie Leucin liefern, aus denen die Muskeln gebaut werden. Mittlerweile gibt es umfangreiche Evidenz dafür, dass der tägliche Proteinkonsum bei einer ausreichenden Kalorienzufuhr ein relevanter Bestandteil des Muskelaufbaus ist.

Weitere Bausteine sind Nährstoffe wie essentielle Fettsäuren, Vitamine und Mineralstoffe. Ein Kaloriendefizit wiederum ist nur bedingt hilfreich. Isst man weniger Kalorien, als der Körper verstoffwechselt, kann sich das negativ auf das Training auswirken.

Es gibt außerdem gute Evidenz dafür, dass der Konsum von 20 bis 40 Gramm rasch verfügbaren Proteinen, wie etwa Molkenprotein, kurzfristig die Muskelproteinsynthese beschleunigen kann. Viele Fitnessbegeisterte setzen außerdem auf langsam freisetzende Proteine wie Kaseinprotein vor dem Schlafengehen, um den täglichen Eiweißbedarf zu decken oder die Erholungsphase zu optimieren.

Was ist mit den Kohlenhydraten?

Und wie passen hier die Kohlenhydrate hinein? Die scheinen eine Umwegrentabilität beizusteuern. Die Studienlage ist nicht ganz klar. Einige Studien zeigen, dass die Kombination von Kohlenhydraten und Protein nach dem Training zu einer erhöhten Muskelproteinsynthese führen kann. In anderen Untersuchungen gibt es keine Evidenz, dass das im Vergleich zum reinen Proteinkonsum besser ist. Nachvollziehbar, immerhin sind Aminosäuren für den Zuwachs die entscheidende Komponente und die können Kohlenhydrate einfach nicht liefern. Das bedeutet, sie können die Muskelproteinsynthese nicht direkt antreiben.

Aber: Carbs könnten einen Einfluss darauf haben, wie stark Muskelproteine abgebaut werden. Denn sie bringen den Körper dazu, das Hormon Insulin zu produzieren – und das wiederum reduziert nachweislich den Proteinabbau.

Wobei, auch Proteine beeinflussen die Insulinproduktion, mit ähnlichem Effekt wie die Carbs. Isst man also nach dem Training genug Eiweiß, gibt es mit Blick auf den Muskelaufbau keinen besondern Bedarf an Kohlenhydraten, wird oft argumentiert. Warum also machen sie bei vielen trotzdem den entscheidenden Unterschied ?

Um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Praktiken von Bodybuildern. Beim Muskelaufbau durchlaufen viele von ihnen eine "Bulking"-Phase, in der sie die tägliche Kalorienzahl um 15 Prozent oder noch mehr erhöhen, damit mehr Muskelmasse produziert wird. Ist das gewünschte Ausmaß erreicht, folgt eine "Cutting"-Phase, in der der Körperfettanteil strategisch reduziert wird, die Muskeln werden besser sichtbar. Verzichtet man weitgehend auf die Kohlenhydrate, kann das den Fettabbau fördern und zu einer schlankeren Statur führen. Deshalb ist dieser Ansatz recht beliebt.

Glykämischer Index

Aber eine Low-Carb-Ernährung geht in vielen Fällen auch mit weniger Energie einher. Das führt potenziell zu einer reduzierten Kapazität des Immunsystems, vermehrter Müdigkeit und verminderter Leistung. Auch der Testosteronspiegel kann dadurch absinken, dieses Hormon wird aber für den Muskelaufbau benötigt. Und für Frauen kommt ein weiteres Problem dazu: Low-Carb-Diäten können den hormonellen Zyklus stören, bis möglicherweise sogar die Menstruation ausbleibt. Diese Low Carb-Strategie ist für manche Menschen also regelrecht schädlich.

Kohlenhydrate liefern außerdem Energie in Form von Glukose – die im Muskel als Glykogen gespeichert wird, damit sie später zur Verfügung steht. Ist das Training anstrengend, werden diese Glykogenspeicher geleert, weil sie schnelle Energie liefern. Kohlenhydrate ermöglichen somit ein intensiveres Training und das beeinflusst indirekt die Muskelproteinsynthese. Wer hingegen nicht mit Kohlenhydraten auftankt und ständig in einem glykogenarmen Zustand trainiert, kann damit den Muskelaufbau unterlaufen und das gesamte Trainingsergebnis verschlechtern.

Es ist aber relevant, welche Carbs man konsumiert. Hier empfehlen sich solche mit einem niedrigen glykämischen Index. Der glykämische Index (GI) ist ein Maß dafür, wie schnell die Kohlenhydrate eines bestimmten Lebensmittels den Blutzucker erhöhen. Lebensmittel mit niedrigem GI haben eine langsamere Freisetzungswirkung. Das beeinflusst die Stimmung positiv und sorgt dafür, dass über den Tag verteilt ausreichend Energie zur Verfügung steht. Man fühlt sich weniger müde und es trägt insgesamt zu einer besseren Gesundheit bei. Unter anderem weiß man, dass ein niedriger GI bei der Senkung des Blutdrucks unterstützt.

Auch Pasta ist in Ordnung

Zwischendurch kann es trotzdem auch gut sein, zu Lebensmitteln mit höherem GI zu greifen, wie Pasta. Über den Tag verteilt ist der niedrige glykämische Index sicher besser. Doch Studien zeigen, dass Pasta, Bagels oder auch Müsli, die einen höheren GI haben, nach einem längeren oder harten Training dazu beitragen, dass sich die Glykogenspeicher rasch wieder füllen und erholen. Ideal für Training UND Erholung scheint also eine Kombination aus Produkten mit niedrigem und hohem GI über den Tag verteilt zu sein.

Carb-Loading macht also nicht nur beim nächsten Laufwettbewerb Sinn, sondern kann auch beim Krafttraining den entscheidenden Unterschied bewirken. Und für die Laune ist es definitiv ein Gewinn.


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