Muskelaufbau auch ohne Muskelversagen möglich ?
In der Fitnesswelt hält sich hartnäckig die Annahme, dass effektives Muskelwachstum nur durch Training bis zum absoluten Muskelversagen möglich ist – also bis zu dem Punkt, an dem keine weitere Wiederholung mehr möglich ist. Doch immer mehr Studien stellen dieses Dogma infrage und bringen praktikablere, alltagstaugliche Trainingsansätze ins Spiel.
Die aktuelle
Studie greift dieses Thema auf und liefert neue, differenzierte Einblicke: Wie
effektiv ist ein minimalistisches Trainingsprogramm mit nur einem Satz pro
Übung – und muss dabei wirklich bis zum Muskelversagen trainiert werden?
Zusätzlich wurde untersucht, wie zuverlässig Trainierende ihre eigene
Belastungsgrenze mithilfe der "Reps in Reserve"-Methode (RIR)
einschätzen können – eine Methode, die gerade in der evidenzbasierten
Trainingsplanung zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Das Ziel
der Studie war also zweifach:
Vergleich der Effekte von Training bis zum
Muskelversagen (FAIL) vs. Training mit zwei Wiederholungen in Reserve (2-RIR)
in einem minimalistischen Trainingsprogramm auf Hypertrophie, Kraft,
Kraftausdauer und Schnellkraft.
Analyse der
Genauigkeit und Entwicklung der RIR-Einschätzung bei trainierten Personen über
acht Wochen.
Was wurde
gemacht?
Minimalistisches
Training unter der Lupe
Die
Untersuchung wurde mit widerstandstrainierten Männern und Frauen durchgeführt,
die seit mindestens einem Jahr regelmäßig trainierten. Die Intervention dauerte
acht Wochen, mit zwei Trainingseinheiten pro Woche – jeweils ein 30-minütiges
Ganzkörpertraining, bei dem pro Übung nur ein Arbeitssatz ausgeführt wurde.
Trainiert wurde im moderaten Wiederholungsbereich (8–12 RM) mit submaximalen
Lasten.
Die
Teilnehmenden wurden zufällig einer von zwei Gruppen zugeteilt:
FAIL-Gruppe: Trainierte bis zum konzentrischen
Muskelversagen
2-RIR-Gruppe:
Beendete den Satz
mit etwa zwei Wiederholungen in Reserve, also vor Erschöpfung
Beide
Gruppen führten die gleichen Übungen aus. Die durchgeführten Übungen umfassten
Latziehen zur Brust am Kabelzug, sitzendes Rudern am Kabelzug, Schulterpresse
und Brustpresse an der Maschine, Trizepsdrücken am Kabelzug, Bizepscurls mit
Kurzhanteln im Untergriff, Kniebeugen an der Smith-Maschine, Beinpresse mit
Gewichtsscheiben sowie Beinstrecker an der Maschine.
Der Fokus
lag darauf, realistische, alltagstaugliche Bedingungen abzubilden, wie sie im
Freizeitsport häufig vorkommen.
Untersucht
wurden:
Muskelquerschnitt
(MT) an verschiedenen Körperstellen
Maximalkraft
(1RM) in Bankdrücken und Kniebeuge
Lokale
Kraftausdauer mittels Wiederholungen im Beinstrecker bei 60 % Körpergewicht
Schnellkraft
anhand von Countermovement Jump (CMJ)
RIR-Schätzgenauigkeit,
also wie gut die Teilnehmer ihr Leistungsniveau einschätzen konnten
Ergebnisse:
Was kam dabei raus?
Muskelaufbau
(Hypertrophie)
Beide
Gruppen erzielten signifikante Zuwächse der Muskelmasse, besonders in den
Beinen:
Unterkörper:
+2,5 % bis +9,5 %
Oberkörper:
+1,2 % bis +4,5 %
Die
FAIL-Gruppe zeigte tendenziell bessere Werte, besonders im Trizeps und im
Quadrizeps (mittlerer Bereich) – jedoch ohne starke statistische Überlegenheit
gegenüber der 2-RIR-Gruppe. Die Unterschiede lagen im Bereich "anektotisch
positiv", also beobachtbar, aber noch nicht eindeutig belegt.
Maximalkraft
In beiden
Gruppen kam es zu vergleichbaren Zuwächsen:
Bankdrücken
(1RM): +6,4 %
bis +6,9 %
Kniebeuge
(1RM): +12,4 %
bis +13,2 %
Training
bis zum Muskelversagen war hier nicht notwendig, um die Kraft signifikant zu
steigern.
Lokale
Muskelausdauer
Beide
Gruppen verbesserten sich deutlich bei der Beinstreckerübung:
FAIL: +31,7 %
2-RIR: +22,5 %
Allerdings
lagen die statistischen Unterschiede zwischen den Gruppen nahe Null – der
Vorteil des Versagens war nicht eindeutig.
Schnellkraft
Die
Sprunghöhe (CMJ) verbesserte sich:
FAIL: +6,0 %
2-RIR: +
4,4%
Auch hier
zeigte sich kein signifikanter Unterschied, auch wenn FAIL leicht besser
abschnitt.
RIR-Schätzgenauigkeit
Die
Teilnehmer konnten bereits nach einer kurzen Einführung ihre RIR mit ±2
Wiederholungen Genauigkeit einschätzen – eine beachtliche Leistung für eine
subjektive Methode.
Die
Genauigkeit verbesserte sich im Studienverlauf, besonders beim Bankdrücken.
Komplexere
Übungen wie Kniebeugen wurden weniger präzise eingeschätzt, was vermutlich auf
die höhere koordinative Anforderung zurückzuführen ist.
Auch
interessant: Teilnehmer,
die regelmäßig bis zum Muskelversagen trainierten, verbesserten ihre
RIR-Schätzung etwas stärker.
Was
bedeuten diese Ergebnisse?
Die
Ergebnisse widerlegen die verbreitete Vorstellung, dass Muskelversagen ein Muss
für effektive Muskelzuwächse ist – zumindest im Kontext von
Single-Set-Programmen mit moderatem Volumen.
Hypertrophie: Zwar zeigte sich ein leichter
Vorteil beim Muskelversagen, doch dieser war meist gering und statistisch
unsicher. Es scheint, dass bei sehr niedrigen Trainingsvolumen die letzten
Wiederholungen mehr Gewicht bekommen, da jede Wiederholung mehr zählt. Trotzdem
reicht ein Training mit 2-RIR für messbare Zuwächse.
Kraft und
Ausdauer: Diese
Fähigkeiten entwickeln sich unabhängig vom Muskelversagen, was im Einklang mit
früheren Meta-Analysen steht. Besonders bei erfahrenen Trainierenden scheint
das Volumen und die Übungsauswahl wichtiger als das „Auf die letzte
Wiederholung gehen“.
Schnellkraft: Auch hier keine klaren Unterschiede
– für Sportarten mit Fokus auf Schnellkraft sollten jedoch gezieltere Studien
folgen.
RIR-Methodik: Die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung
ist trainierbar und relativ schnell erlernbar. Damit ist RIR ein praktikables
Werkzeug für die Trainingssteuerung – auch ohne Coaching.
Limitierende
Faktoren:
Kleine
Stichprobe, kurze Studiendauer (8 Wochen)
Keine Daten
zum vorherigen Trainingsvolumen der Teilnehmenden.
Fazit:
Minimalismus trifft Muskelkraft
Weniger
ist mehr – wenn es richtig gemacht wird.
Bereits zwei
30-minütige Trainingseinheiten pro Woche mit einem einzigen Satz pro Übung
können nachhaltig Muskelmasse, Kraft und Ausdauer steigern – selbst bei bereits
erfahrenen Trainierenden.
Muskelversagen?
Kann, muss aber nicht.
Wer bis ans
Limit geht, kann minimal mehr Muskelmasse aufbauen – aber auch mit moderater
Intensität sind beachtliche Fortschritte möglich. Das bedeutet weniger
Erschöpfung, mehr Trainingskomfort und möglicherweise bessere Langzeitadhärenz.
RIR – das
unterschätzte Werkzeug.
Mit etwas
Übung lässt sich die subjektive Belastung erstaunlich genau einschätzen. Das
macht das Training flexibler, sicherer und effizienter.
Mehr
Motivation, weniger Ausreden.
Gerade für
Berufstätige, Eltern oder Sporteinsteiger bietet das Single-Set-Prinzip eine
realistische Möglichkeit, effektiv und zeitsparend zu trainieren – ohne das
Gefühl, ständig an die Leistungsgrenze gehen zu müssen.
Du willst mehr über dieses Thema erfahren dann buche eines meiner zahlreichen Webinare oder E-Books
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