Ohne regelmäßiges Krafttraining starker Jo-Jo Effekt nach Absetzen der Abnehmspritze
Der vorliegende Blogeintrag fasst neue Erkenntnisse zur Wirkung von GLP-1-Rezeptoragonisten und kombinierten GLP-1/GIP-Rezeptoragonisten bei der Behandlung von Adipositas zusammen. Im Fokus steht eine in Mai auf dem Europäischen Adipositas-Kongress 2025 in Málaga vorgestellte Studie, die zeigt, dass bei gezielter Begleitung durch Krafttraining und proteinreiche Ernährung der Muskelmasseverlust minimal gehalten werden kann. Die Dokumentation beleuchtet Studiendesign, Interventionen, Ergebnisse sowie praktische Implikationen für die klinische Praxis und gibt Ärzten sowie medizinischem Fachpersonal evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für die optimale Patientenbetreuung bei der Adipositas-Therapie mit GLP-1-basierten Medikamenten.
Hintergrund und Einordnung der Studienergebnisse
Die Behandlung von Adipositas stellt eine zentrale Herausforderung in der modernen Medizin dar. Mit der Entwicklung von GLP-1-Rezeptoragonisten und kombinierten GLP-1/GIP-Rezeptoragonisten ist ein bedeutender Fortschritt in der medikamentösen Therapie gelungen. Diese Wirkstoffe führen nachweislich zu einer signifikanten Gewichtsreduktion, jedoch blieb die Frage nach dem Verlust von Muskelmasse – ein häufiges Problem bei Gewichtsreduktionsprogrammen – bisher unzureichend beantwortet.
Bei konventionellen Diäten geht eine Gewichtsreduktion oft mit einem unerwünschten Verlust an Muskelmasse einher. Dies kann langfristig negative Auswirkungen auf den Grundumsatz, die körperliche Leistungsfähigkeit und die allgemeine Stoffwechselgesundheit haben. Ein Verlust von Muskelmasse kann zudem das Risiko für den sogenannten Jojo-Effekt erhöhen und die Nachhaltigkeit des Therapieerfolgs gefährden.
Die auf dem Europäischen Adipositas-Kongress vorgestellte Studie liefert nun erstmals umfassende Daten zur Körperzusammensetzung bei Patienten unter GLP-1-basierter Therapie in Kombination mit gezielten Begleitmaßnahmen. Die Ergebnisse sind besonders relevant, da sie einen multimodalen Therapieansatz verfolgen, der die medikamentöse Behandlung mit nicht-pharmakologischen Interventionen kombiniert.
Die Studie reiht sich ein in eine wachsende Zahl von Untersuchungen, die den Stellenwert der körperlichen Aktivität und der Ernährungskomponente bei der medikamentösen Adipositastherapie unterstreichen. Die Daten weisen darauf hin, dass der Erfolg moderner Adipositas-Medikamente durch begleitende Maßnahmen wie regelmäßiges Krafttraining und proteinreiche Ernährung optimiert werden kann, was die bisherigen Leitlinienempfehlungen zur multimodalen Therapie unterstützt und konkretisiert.
Studiendesign und Methodik
Die prospektive Studie umfasste 200 erwachsene Teilnehmer mit Übergewicht oder Adipositas, die über einen Zeitraum von sechs Monaten beobachtet wurden. Die Geschlechterverteilung war mit 99 Männern und 101 Frauen nahezu ausgeglichen. Das Durchschnittsalter der Probanden lag bei 47 Jahren, der mittlere Body-Mass-Index (BMI) betrug 31,4 kg/m², was einer Adipositas Grad I entspricht.
Zu Beginn der Behandlung mit den GLP-1-basierten Medikamenten Semaglutid oder Tirzepatid erhielten alle Teilnehmer eine strukturierte Schulung zu zwei zentralen Interventionen:
Krafttraining: Die Teilnehmer wurden angeleitet, dreimal wöchentlich Krafttraining durchzuführen. Die genauen Trainingsprotokolle wurden individuell angepasst, zielten jedoch auf die Hauptmuskelgruppen ab, um den Erhalt und potenziellen Aufbau von Muskelmasse zu fördern.
Proteinzufuhr: Die empfohlene tägliche Proteinaufnahme wurde individualisiert festgelegt, lag jedoch generell über dem Mindestwert von 0,8 g/kg Körpergewicht. Diese erhöhte Proteinzufuhr sollte den Muskelerhalt während der Gewichtsreduktion unterstützen.
Zur Evaluierung der Körperzusammensetzung wurde die bioelektrische Impedanzanalyse mittels des InBody-570-Geräts eingesetzt. Messungen erfolgten zu drei Zeitpunkten: zu Studienbeginn, nach drei Monaten und nach sechs Monaten. Diese Methode ermöglichte eine differenzierte Betrachtung der Veränderungen von Fettmasse und fettfreier Körpermasse im Therapieverlauf.
Die Adhärenz der Teilnehmer zu den empfohlenen Interventionen wurde systematisch erfasst. Nach eigenen Angaben hatten sich 95% der Teilnehmer nach drei Monaten und 89% nach sechs Monaten an die Empfehlungen der Studienleitung gehalten, was für eine hohe Compliance spricht.
Primäre Studienergebnisse
Nach dem sechsmonatigen Studienzeitraum zeigten sich bei den 200 Teilnehmern, die sowohl mit GLP-1-basierten Medikamenten behandelt als auch durch ein strukturiertes Krafttraining und eine proteinreiche Ernährung begleitet wurden, signifikante und ermutigende Veränderungen der Körperzusammensetzung. Im Durchschnitt wurde eine bemerkenswerte Gewichtsreduktion von 13,0% des Ausgangsgewichts erzielt, was die bereits bekannte Effektivität dieser medikamentösen Therapie eindrucksvoll bestätigt und sogar über den Erwartungen bei reiner Medikation liegt.
Eine detaillierte Analyse der Geschlechter ergab spezifische Ergebnisse:
Weibliche Teilnehmerinnen (n=101): Die Frauen, die mit einem durchschnittlichen Ausgangsgewicht von 71 kg starteten, erreichten ein Endgewicht von durchschnittlich 62,5 kg. Dies entspricht einer durchschnittlichen Gewichtsabnahme von 8,5 kg bzw. 12,0% (p < 0,001). Von dieser Reduktion entfielen beeindruckende 11,9 kg auf Fettmasseverlust, während der Verlust an Muskelmasse mit lediglich 0,63 kg minimal ausfiel. Dies resultierte in einem hoch vorteilhaften Verhältnis von 19:1 zugunsten des Fettverlusts, was auf eine exzellente Muskelmassenerhaltung hindeutet.
Männliche Teilnehmer (n=99): Die männlichen Probanden begannen die Studie mit einem durchschnittlichen Körpergewicht von 101 kg und beendeten diese mit einem Durchschnittsgewicht von 87,5 kg. Dies repräsentiert eine durchschnittliche Gewichtsabnahme von 13,5 kg bzw. 13,4% (p < 0,001). Bei ihnen betrug der Fettmasseverlust durchschnittlich 12,5 kg, während der Muskelmasseverlust auf nur 1,0 kg begrenzt werden konnte. Das daraus resultierende Verhältnis von 12,5:1 (Fett- zu Muskelmasseverlust) ist ebenfalls als sehr positiv zu bewerten.
Der geringe Verlust an Muskelmasse bei beiden Geschlechtern ist besonders hervorzuheben, da er deutlich unter den Werten liegt, die typischerweise bei einer vergleichbaren Gewichtsreduktion ohne gezielte Interventionen wie Krafttraining und erhöhte Proteinzufuhr zu beobachten wären. Während die durchschnittliche Gesamtgewichtsreduktion etwa 13% betrug, lag der prozentuale Verlust an Muskelmasse bei der gesamten Kohorte bei lediglich rund 3,5% der ursprünglichen Muskelmasse. Diese signifikante Diskrepanz unterstreicht die synergistische Wirksamkeit der kombinierten Intervention aus GLP-1-basierter Therapie, regelmäßigem Krafttraining und einer optimierten Proteinzufuhr im Hinblick auf den Muskelerhalt.
Die hohe statistische Signifikanz der Gewichtsreduktion (p < 0,001) untermauert die Robustheit und Zuverlässigkeit der Studienergebnisse. Die bereits im Studiendesignbericht erwähnte hohe Adhärenz der Teilnehmer zu den vorgeschriebenen Trainings- und Ernährungsprotokollen (89% nach sechs Monaten) erhöht die externe Validität der Daten erheblich und deutet darauf hin, dass die angewendeten Interventionen auch in der klinischen Praxis erfolgreich umsetzbar sind und den Patienten messbare Vorteile bieten.
Klinische Bedeutung der Ergebnisse
Die Studienergebnisse haben weitreichende Implikationen für die klinische Praxis der Adipositastherapie. Der minimale Verlust an Muskelmasse bei gleichzeitig substantieller Gewichtsreduktion stellt einen bedeutenden Vorteil gegenüber konventionellen Gewichtsreduktionsprogrammen dar. Muskelmasse ist metabolisch aktives Gewebe und trägt wesentlich zum Grundumsatz bei. Ein Erhalt der Muskelmasse während der Gewichtsreduktion kann daher langfristig den Energieverbrauch stabilisieren und dem gefürchteten Jojo-Effekt entgegenwirken.
Studienautorin Dina Peralta-Reich, Gründerin und Leiterin von New York Weight Wellness Medicine, betont die Bedeutung einer fachärztlichen Begleitung: "Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, diese Medikamente unter Anleitung erfahrener Ärzte einzusetzen, die auch zu Bewegung, Ernährung und Körperzusammensetzung beraten können. Richtig eingesetzt können diese Wirkstoffe die Gesundheit verbessern, ohne wertvolle Muskelmasse einzubüßen – ein zentraler Faktor für die langfristige Stoffwechselgesundheit."
Dieser Standpunkt wird durch die klinische Erfahrung von Dr. Angela Fitch, Mitgründerin des Adipositaszentrums Knownwell in Massachusetts, unterstützt. Sie bestätigt, dass die Studienergebnisse mit den Beobachtungen in ihrer Praxis übereinstimmen, wo Patienten umfassend betreut werden und die Körperzusammensetzung regelmäßig mittels SECA-Bioimpedanzgeräten kontrolliert wird, um individuelle Empfehlungen zu Proteinzielen und Krafttraining anzupassen.
Die Studie unterstreicht somit die Notwendigkeit eines multimodalen Therapieansatzes bei der Adipositasbehandlung. Die alleinige Verabreichung von GLP-1-Rezeptoragonisten ohne begleitende Maßnahmen würde das therapeutische Potenzial dieser Wirkstoffe nicht vollständig ausschöpfen. Die Integration von strukturiertem Krafttraining und individualisierter Proteinzufuhr in das Behandlungskonzept erscheint essentiell für optimale Ergebnisse hinsichtlich der Körperzusammensetzung.
Physiologische Grundlagen und Wirkmechanismen
Um die Studienergebnisse vollständig zu verstehen, ist eine Betrachtung der zugrundeliegenden physiologischen Mechanismen wichtig. GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid und kombinierte GLP-1/GIP-Rezeptoragonisten wie Tirzepatid entfalten ihre gewichtsreduzierende Wirkung über mehrere Mechanismen:
- Verzögerung der Magenentleerung, wodurch ein länger anhaltendes Sättigungsgefühl entsteht
- Zentrale Wirkung im Hypothalamus mit Regulation des Appetits und der Nahrungsaufnahme
- Modulation der Insulinsekretion und Verbesserung der Glukosehomöostase
Potenzielle direkte Effekte auf den Energiestoffwechsel in verschiedenen Geweben
Bei herkömmlichen kalorienreduzierten Diäten ohne begleitende Maßnahmen kommt es typischerweise zu einem Verlust von etwa 25% -35% der Gewichtsreduktion in Form von Muskelmasse. Dieser unerwünschte Nebeneffekt entsteht durch katabole Stoffwechselprozesse, bei denen der Körper neben Fettreserven auch Muskelprotein als Energiequelle nutzt, besonders wenn keine ausreichenden anabolen Stimuli vorliegen.
Das in der Studie beobachtete günstige Verhältnis zwischen Fett- und Muskelmasseverlust lässt sich durch die synergetischen Effekte der Interventionen erklären:
Krafttraining induziert anabole Signale in der Skelettmuskulatur, die dem katabolischen Zustand während der Energierestriktion entgegenwirken. Die mechanische Belastung aktiviert Signalwege wie mTOR (mammalian Target of Rapamycin), die die Proteinsynthese stimulieren und somit den Muskelabbau verhindern oder sogar Muskelaufbau ermöglichen können, selbst in einer Kalorienbilanz.
Die erhöhte Proteinzufuhr stellt die notwendigen Aminosäuren für die Muskelproteinsynthese bereit und verbessert die Stickstoffbilanz. Insbesondere die essentielle Aminosäure Leucin spielt eine Schlüsselrolle bei der Aktivierung anaboler Signalwege. Studien zeigen, dass eine Proteinzufuhr von 1,2-1,6 g/kg Körpergewicht während einer Gewichtsreduktion optimal für den Muskelerhalt sein kann, was deutlich über der Basisempfehlung von 0,8 g/kg der DGE liegt.
Praktische Umsetzung in der klinischen Praxis
Für Ärzte und medizinisches Fachpersonal, die GLP-1-Rezeptoragonisten in der Adipositastherapie einsetzen, ergeben sich aus den Studienergebnissen konkrete Handlungsempfehlungen für die Betreuung ihrer Patienten:
Initiale Erfassung der Körperzusammensetzung: Vor Therapiebeginn sollte idealerweise eine Analyse der Körperzusammensetzung mittels bioelektrischer Impedanzanalyse oder anderer validierter Verfahren erfolgen, um Ausgangswerte zu dokumentieren und individuelle Ziele festzulegen.
Individuelle Krafttrainingspläne: Patienten sollten eine detaillierte Anleitung zu geeigneten Krafttrainingsübungen erhalten. Bei fehlender Trainingserfahrung kann eine Überweisung zu spezialisierter Sporttherapie oder Physiotherapie sinnvoll sein. Empfohlen werden 2-3 Krafttrainingseinheiten pro Woche, die alle großen Muskelgruppen adressieren.
Proteinzielwerte festlegen: Basierend auf Körpergewicht und individuellen Faktoren sollten konkrete Proteinzielwerte festgelegt werden. In der Regel empfiehlt sich eine Zufuhr von 1,2-1,6 g/kg Körpergewicht, verteilt über den Tag. Praktische Empfehlungen zu proteinreichen Lebensmitteln und gegebenenfalls Supplementen sollten gegeben werden.
Regelmäßiges Monitoring: Die Körperzusammensetzung sollte in regelmäßigen Abständen (z.B. alle 3 Monate) überprüft werden, um die Therapie bei Bedarf anzupassen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Eine Kooperation mit Ernährungsberatern, Sportwissenschaftlern und Psychologen kann die Effektivität der Behandlung steigern und die Adhärenz der Patienten verbessern.
Bei der Patientenberatung sollte betont werden, dass die Kombination aus GLP-1-basierter Therapie, Krafttraining und adäquater Proteinzufuhr nicht nur kurzfristige Gewichtsreduktion, sondern auch langfristige metabolische Gesundheit fördert. Der Erhalt der Muskelmasse trägt wesentlich zur Verbesserung von Insulinsensitivität, Glukosetoleranz und kardiovaskulärer Fitness bei.
Besondere Aufmerksamkeit sollte auch der Therapieadhärenz gewidmet werden. Die hohe Compliance in der Studie (89% nach 6 Monaten) deutet darauf hin, dass die empfohlenen Maßnahmen für die meisten Patienten umsetzbar sind. Dennoch können individuelle Barrieren wie Zeitmangel, fehlende Sporteinrichtungen oder Geschmackspräferenzen die Einhaltung der Empfehlungen erschweren. Hier können maßgeschneiderte Lösungen wie Heimtrainingsprogramme oder praktische Ernährungsstrategien hilfreich sein.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Die vorgestellte Studie liefert überzeugende Evidenz dafür, dass eine GLP-1-basierte Adipositastherapie bei gleichzeitiger Implementierung von Krafttraining und erhöhter Proteinzufuhr zu einer günstigen Veränderung der Körperzusammensetzung führt. Der minimale Verlust an Muskelmasse (etwa 3%) bei substanzieller Gewichtsreduktion (etwa 13%) stellt einen signifikanten Fortschritt in der Adipositasbehandlung dar.
Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung eines multimodalen, individualisierten Therapieansatzes. Die alleinige Verschreibung von GLP-1-Rezeptoragonisten ohne begleitende Maßnahmen schöpft das therapeutische Potenzial dieser Wirkstoffe nicht vollständig aus. Erst die Integration von strukturiertem Krafttraining und angepasster Proteinzufuhr ermöglicht optimale Ergebnisse hinsichtlich der Körperzusammensetzung und metabolischen Gesundheit.
Für die klinische Praxis bedeutet dies, dass Ärzte und medizinisches Fachpersonal, die Patienten mit Adipositas betreuen, idealerweise Kompetenzen in der Beratung zu körperlicher Aktivität und Ernährung entwickeln oder entsprechende interdisziplinäre Netzwerke aufbauen sollten. Die regelmäßige Kontrolle der Körperzusammensetzung mittels geeigneter Messverfahren wird zu einem zentralen Element einer qualitativ hochwertigen Adipositastherapie.
Zukünftige Forschung sollte verschiedene Aspekte vertiefen, darunter die optimale Intensität und Frequenz des Krafttrainings, die ideale Proteinverteilung über den Tag sowie potenzielle Unterschiede zwischen verschiedenen GLP-1-basierten Präparaten. Auch Langzeitstudien über mehrere Jahre sind erforderlich, um die Nachhaltigkeit der positiven Effekte zu evaluieren.
Insgesamt markieren die Studienergebnisse einen wichtigen Schritt in Richtung einer differenzierteren und effektiveren Adipositastherapie. Die Kombination aus innovativen pharmakologischen Ansätzen und etablierten Lebensstilinterventionen eröffnet neue Perspektiven für die Behandlung einer der größten gesundheitlichen Herausforderungen unserer Zeit. Mit diesem integrativen Ansatz rückt das Ziel einer nachhaltigen Gewichtsreduktion bei gleichzeitigem Erhalt metabolisch aktiver Muskelmasse in greifbare Nähe.
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