Was ist Stress und wie geht man damit um - Teil 2
Oft haben wir es nicht nur mit einem Stressoren zu tun, sondern gleich mit mehreren. Und häufig zieht sich der Stress über längere Zeiträume hin; oft ist er Lebensthema. Das heißt, die Phase in der normalerweise Stress abgebaut wird, kann gar nicht mehr stattfinden. Ursachen können eine dauerhaft hohe Arbeitsbelastung, die Pflege einer Person oder eine Krankheit sein. Der Stress türmt sich auf; die oben genannten körperlichen Symptome lösen sich nicht.
Aber was passiert wenn man zu viel Stress hat? Wenn der Stress
einfach nicht aufhört und man auch nicht mehr runterkommen kann.
Wer hat chronischen Stress?
Die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) des
Robert Koch Instituts RKI ermittelte, dass Faktoren für die Stressbelastung
neben Geschlecht der sozioökonomische Status (also Beruf, Bildung, Einkommen,
sozialer Status) und die soziale Unterstützung sind:
Eine starke Stressbelastung ist bei niedrigem sozioökonomischem
Status mehr als doppelt so häufig (17,3%) als bei hohem (7,6%).
Mit 26,2% sind Menschen mit wenig sozialer Unterstützung häufiger
von hoher Stressbelastung betroffen.
Stressbelastung und sozioökonomischer Status
Zum Thema Stressbelastung und sozioökonomischer Status liegen
unterschiedliche Studien vor.
Ethnie und sozioökonomischer Status und Stresserleben hängen
zusammen, wie in einer Veröffentlichung der American Psychological Association
aus dem Jahr 2017 zu lesen war. Wichtige Faktoren waren hier Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben, Gewalt- und Diskriminierungs-Erfahrungen, soziale
Beziehungen, Bildungsstand und Höhe des Einkommens. Je ungünstiger diese
Faktoren, desto höher die Stresswahrscheinlichkeit und deren gesundheitliche
Folgen.
Hinzu kommt, dass wie Werdecker und Esch 2019 beschrieben
gesundheitsschädliche Verhaltensweisen wie Rauchen und Trinken, die eigentlich
dazu dienen sollen, den Stress zu mindern, häufiger bei Menschen vorkommen, die
weniger Zugang zu gesunden und positiven Kontakten und zu finanziellen Mitteln
haben.
Auch Cohen und Janicki-Deverts belegten in ihren Studien 2012,
dass Stress weniger wird, je höher Bildung und Einkommen sind. Leuchtet erst
mal ein: je entspannter die finanzielle und soziale Sitauation, desto weniger
Stress.
Die TK Studie 2021 kam interessanterweise zu diesen Ergebnissen:
Menschen in Deutschland, die weniger als 3000 € im Monat zur Verfügung haben,
geben an weniger gestresst zu sein als Menschen mit höheren Einkommen, also
mehr als 3000 € netto. Mehr Einkommen, mehr subjektives Stressempfinden?
Stressbelastung Unterschiede Männer
Frauen
Zum Thema Stress bei den Geschlechtern gibt es zahlreiche Studien,
die das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten.
Die unterschiedlichen Reaktionen auf Stress bei Männern und Frauen
haben wir weiter oben beschrieben, später werden wir sehen, dass auch die
Stressauslöser variieren. Hier wollen wir einen Blick auf die Stressbelastung
werfen.
In Sachen Stressbelastung bei den Geschlechtern zeichnen sich
Veränderungen ab. Bisher waren Frauen,
wie zahlreiche Studien belegten, deutlich gestresster:
Purvanova und Muros zeigten 2010 auf, dass Frauen häufiger unter
emotionaler Erschöpfung litten als Männer. 2014
ermittelten Eek und Axmon , dass berufstätige Frauen häufiger gestresst
sind, offenbar weil Männer weniger Hausarbeit übernehmen und den Frauen so mehr
Belastung zukommt.
Laut TK Stressstudie 2021 ändert sich das. Die 21er Studie
vergleicht die Werte mit vorangegangenen TK Studien aus den Jahren 2013 und
2016. Hier sieht man, dass die Unterschiede in der Stressbelastung sich
angleichen. (Siehe Grafik) Es wird vermutet, dass die höhere Beteiligung der
Männer an Haushaltspflichten und Carearbeit ein Grund für deren steigenden
Stresspegel sein könnte. Wobei die Care- Belastung bei Weitem noch nicht
paritätisch aufgeteilt ist.
Die Folgen von chronischem Stress
Die Stressspirale
Wenn unser ganzes System durch Stress permanent maximal
hochgefahren ist, dann ist eine logische Konsequenz, ein dauerhaftes
Erschöpfungsgefühl. Das Gefühl nicht genug Ressourcen (Zeit, Kraft, Freude,
Aufmerksamkeit etc.) zur Verfügung zu haben lässt anstehende Herausforderungen
noch größer erscheinen. Es entsteht ein Gefühl von „Ich schaff das nicht“, „Ich
hab mein Leben nicht im Griff“.
Wir fühlen uns gelähmt, bringen weniger zu Stande als mit vollen Kräften und spüren dadurch noch mehr Druck. Entspannen will uns gar nicht mehr gelingen – es steht ja noch soviel an. Also schwingen wir innerlich die Peitsche, um uns anzutreiben: wir machen uns noch mehr Stress, verbieten uns die Erholung. Ein Teil von uns scheucht uns gnadenlos, ein anderer streut uns Selbstzweifel und Versagensänste- und Vorwürfe in den steinigen Weg. Wenn wir zur Ruhe kommen sollten, zum Beispiel abends vor dem schlafen gehen, dann drängen sich uns Gedanken auf, was wir noch alles tun müssen, was wir nicht geschafft haben und was uns aufgrunddessen alles blühen kann. Die Stressspirale ist in vollem Gange.
Was passiert mit dem Körper wenn man zu
viel Stress hat?
Kommen noch weitere Anforderungen oder gar Stressoren hinzu, dann
können wir schnell entgleisen: wir sind hochempfindlich, reizbar, womöglich
aggressiv; unsere Psyche und unser Körper pfeifen auf dem letzten Loch. Normale
Alltagsbelastungen wachsen uns über den Kopf. In Gedanken sind wir dauerhaft
zerstreut, unkonzentriert, grübeln. Wir versuchen, alle möglichen Dinge
gleichzeitig zu lösen. Unsere Muskeln, besonders im Schulter- Nackenbereich
sind verspannt, der Rücken schmerzt, gerne gesellt sich Muskelzucken zum
Beispiel am Auge dazu, wir haben ein flaues Gefühl im Magen, Magenkrämpfe,
Herzrasen, womöglich wird uns schwindlig.– Und zwar permanent. Der Stress
verfestigt sich im Körper. Und das alles bei dauernder Müdigkeit. Denn wenn wir
endlich zu etwas Schlaf kommen, dann plagen uns auch noch Albträume. Den Spaß
an Dingen, die wir sonst eigentlich mögen, haben wir in dieser Phase meist
verloren; sie scheinen uns nur weitere Belastungen zu sein. Hier ist der Beginn
von depressiven Verstimmungen bis hin zu handfesten Depressionen.
Gesundheitliche Schäden sind abzusehen.
Regenerationsphase nach chronischem
Stress
Ist die Stressspirale einmal richtig im Gange, dann braucht es
mehr als ein verlängertes Wochenende, um den Stress nachhaltig wieder aus dem
System zu bekommen. Das kann mehrere Wochen dauern.
Länge und Schwere der vorrangegangenen Stressbelastung bestimmen,
wie lange genau es dauert, bis ein Mensch sich regeneriert. Ist man sogar in
ein Burnout geraten, dann kann die Regenerationsdauer Jahre betragen.
Wann macht Stress krank?
Wenn Körper und Psyche nicht irgendwann wieder in den
Normalzustand kommen, dann entwickeln sich Abnutzungserscheinungen in Form von
physischen und psychischen Krankheiten.
Stress und psychische Erkrankungen
Auf psychischer Ebene kann es zu Angststörungen, Sucht-Krankheiten
und zu Burn out und Depression kommen. Und wie eingangs schon erwähnt:
Psychische Erkrankungen sind mittlerweile einer der Hauptursachen für
krankheitsbedingte Arbeitsausfälle.
Dass die Wahrscheinlichkeit eine psychische Erkrankung wie zum
Beispiel Depression oder Burnout zu erleiden, durch langanhaltenden, starken
Stress erhöht wird ist schon lange wissenschaftlich gesichert. (Ganster &
Schaubroeck, 1991)
In der repräsentativen TK Stress-Studie 2021 „Entspann dich, Deutschland!“ wurden die Teilnehmenden gefragt, ob sie innerhalb der letzten drei Jahre Depression, Burnout oder Angststörungen hatten.
- In der Gruppe derer, die nie, selten oder nur manchmal Stress hatten waren zwischen 9 -13 % betroffen. Bei den häufig Gestressten jedoch waren es 40 %, die psychische Symptome hatten.
- Insgesamt sind 10 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland häufig gestresst und haben psychische Symptome! Du kannst statistisch davon ausgehen, dass einer von zehn in deiner Umgebung betroffen ist.
Stressmanagement, Stressbewältigung und der Aufbau von Resilienz
dürften wichtige Maßnahmen gegen Stress, seine gesundheitlichen Folgen und die
steigende Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen sein.
Burnout
Die Anzahl von Krankheitstagen aufgrund von Burn-out-Diagnose bei
der AOK ist seit dem Jahr 2005 (13,9 Krankheitstage pro 1000 Mitglieder)
drastisch angestiegen. 2022 zählte die AOK 159,8 Arbeitsunfähigkeits-Tage
aufgrund von Burn-Out-Erkrankungen je 1000 Mitglieder. Das sind mehr als elf
mal so viele Krankheitstage.
Was ist Burn-out?
Den Begriff Burn out, also „ausgebrannt sein“ hat der
US-amerikanischen Psychotherapeut Herbert J. Freudenberger 1974 zum ersten mal
erwähnt. Es beschreibt totale Erschöpfung auf mentaler und physischer Ebene.
Bei Betroffenen zeigt sich Desinteresse an der gesamten Umgebung und
Antriebslosigkeit, oft auch Gereiztheit.
Ist der Stresslevel hoch und das über lange Zeit, dann kann die Nebenniere die Fähigkeit Kortisol zu generieren verlieren. Das Ergebnis: totale Erschöpfung. Nichts geht mehr.
Seit Anfang 2022 wird Burnout offiziell als ICD-11 Diagnose „Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet werden kann“ definiert.
Wer leidet unter Burn out?
Immer wieder hört man von Prominenten im Burn out; es sind jedoch
meist eher diejenigen, die wenig Geld verdienen und unbemerkt viel Leistung
bringen, die von Burn out betroffen sind.
Medizinsoziologe Johannes Siegrist von der Universität Düsseldorf im Deutschlandfunk:
„Je tiefer jemand in der Hierarchie steht im Betrieb, umso
häufiger ist er von diesen Bedingungen betroffen. Das ist auch deswegen
wichtig, weil es auch ein soziales Gefälle der wichtigsten stressbedingten
Erkrankungen gibt. Depressionen sind häufiger in niedrigen Stellungen,
sogenannten niedrigen sozialen Schichten, und koronare Herzkrankheiten sind
schon längst keine Managerkrankheit mehr. Die sind mindestens zweimal so häufig
in den wenig qualifizierten Berufsgruppen. Und wir zeigen auch in unserer Forschung,
dass eben Arbeitsstress in diesen sozial benachteiligten Gruppen eine größere
Rolle für das Krankheitsgeschehen spielt, als das in den höheren sozialen
Schichten der Fall ist.“
Eine Reihe von Wissenschaftlern sehen das Phänomen „Burnout“ aber
auch als eine Art sozial akzeptabler Form, Überlast und Depression zu
thematisieren. Fuchs et al. sehen die Überlastung sogar als wesentliches
Symptom, uns ingesamt als „überfordertes Subjekt“ in unserer Lebensumwelt zu
organisieren (Thomas Fuchs, Lukas Iwer und Stefano Micali 2018).
Stress und das autonome Nervensystem
Eine zentrale Rolle spielt das autonome Nervensystem ANS, auch
vegetatives Nervensystem VNS genannt. Es besteht aus zwei gegensätzlichen
Akteuren, dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Der Sympathikus ist dafür
zuständig, den Körper zu aktivieren und in einen Alarm Zustand zu versetzen;
die Aufgabe des Parasympathikus ist es für Entspannung zu sorgen. Hat man zu
viel Stress, dann ist der Sympathikus permanent überaktiviert. Das vegetative
Nervensystem ist maßgeblich an der Regelung auch lebenserhaltender
Körperfunktionen beteiligt. Ist es beeinträchtigt, zum Beispiel durch
Anspannung, dann kann es seine Aufgaben nicht mehr in optimaler Form nachgehen
und wirkt sich auf die Funktion der Organe aus.
Das vegetative Nervensystem lässt sich leider nicht willentlich
beeinflussen – aber durch Entspannungsübungen, Meditation usw. trainieren, so
dass man sich Möglichkeiten erarbeiten kann, um herunterzufahren.
Auf welche Organe wirkt sich Stress
aus?
Stress wirkt sich auf viele Organe aus. Wir können nicht jede
körperliche Auswirkung betrachten, wollen uns die häufigsten aber genauer
anschauen.
Grundsätzlich nimmt der Körper durch Stress und dessen psychische
Folgen Schaden. Es gibt einen weiteren Faktor: Stressgeplagte neigen dazu eher
zu rauchen, trinken oder andere Suchtverhalten an den Tag zu legen. Durch diese
stressbezogenen Kompensationsverhaltensweisen steigt das Risiko für weitere
Erkrankungen. (Werdecker & Esch, 2019)
Wechselwirkung Stress und Gesundheit
Es ist vielfach nachgewiesen: Stress geht zu Lasten der
Gesundheit. Wir sollten aber auch nicht außer Acht lassen, dass ein schlechter
Gesundheitszustand Stress auslösen kann. Zum einen lösen Krankheit und
gesundheitliche Einschränkungen Sorgen um die eigene Gesundheit und
Leistungsfähigkeit aus. Zum anderen hat jemand mit angeschlagener Gesundheit
weniger psychische und physische Kapazitäten um mit Herausforderungen
umzugehen. Insofern können wir davon ausgehen, dass ein schlechter
Gesundheitszustand und Stress sich wechselseitig beeinflussen.
Herz-Kreislauf und Stress
Nicht umsonst werden Herzinfarkte mit Stress in Verbindung
gebracht: Wenn Stresshormone dauerhaft für Herzrasen und hohen Blutdruck
Sorgen, ist natürlich das Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls
physiologisch deutlich erhöht, weil das kardiovaskuläre System nicht jahrelang
auf Hochtouren laufen kann.
Doch auch die durch Stress angeschlagene Psyche trägt einen Teil
dazu bei. Laut Psychokardiologe Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig vom Helmholtz
Zentrum München hat der Herztod durch Stress mehrere Ursachen: „Der plötzliche
Herztod ereilt die Betroffenen entgegen einer verbreiteten Vorstellung in der
Regel nicht nach einer einmaligen Aufregung“. Ladwig erklärt, dass aktueller
Stress zwar häufig der Auslöser für plötzlichen Herztod sei. Die Grundlage
dafür sei jedoch in der oft lange vorrausgehenden deppressiven Stimmungslage zu
finden.
Ladwig führt eine Studie an, in der Herzinfarkt-Überlebende
untersucht wurden: Eine Gruppe hatte vor dem Herzinfarkt, ein negatives
emotionales Erlebnis, die anderen nicht, d.h. deren Herzinfarkt wurde als rein
physiologisch gewertet. Ein Stress-Test zeigte, dass die Körper der emotional
belasteten Menschen auf den zusätzlichen Stress anders reagierten als bei der
Kontrollgruppe: die Zahl der Leukozyten, die Blutverklumpungen hervorrufen
können, sowie der Blutdruck stieg bei ihnen signifikant höher an. Prof. Dr.
Ladwig: „Das zeigt, dass Stress ein eigenständiger Risikofaktor für
Herzerkrankungen ist“, und:
„Neben der körperlichen Veranlagung spielt auch die Art, wie
Menschen mit emotionalen Belastungen umgehen, eine wesentliche Rolle“. – Was
bedeutet, dass das Risiko einen plötzlichen Herztod zu sterben sinkt, je besser
wir mit Stress umgehen können.
Immunsystem und Stress
Chronischer Stress erhöht das Risiko einer Infektion.
Neurowissenschaftler Prof. Dr. Robert Dantzer und Immunophysiologe Prof. Dr.
Keith W. Kelley erklären in ihrer Veröffentlichung „Stress and immunity: An
integrated view of relationships between the brain and the immune system“ 2002,
das chronischer Stress nicht allein aufgrund der hohen Kortisol-Werte das
Immunsystem unterdrücke. Chronischer Stress habe psychische Folgen und
beeinflusse somit das zentrale Nervensystem. Gehirn und Immunsystem kommunizieren
über das zentrale Nervensystem sowie über Hormone, so dass deren Veränderung
durch Stress einen wichtigen Einfluß auf das Immunsystem und Entzündungswerte
ausübe.
Außerdem überstimuliert Stress die weißen Blutkörperchen, so dass
sich Entzündungen verschlimmern.
Hautausschläge, Allergien, Neurodermitis, Asthma und Stress
Nicht jede Allergie entsteht durch Stress. Aber Stress hat
Einfluss auf die Haut und das Allergiegeschehen; kann die Symptome
verschlimmern.
Das Forscher*innenteam um Jan Kiecolt-Glaser, Professorin Für Psychatrie und Psychologie, Direktorin des Instituts für verhaltensmedizinische Forschung an der der Universität von Ohio testete die allergischen Reaktionen von Menschen mit Heuschnupfen. Sie stellten fest, dass die Haut-allergische Reaktion nach akutem Stress (Trier Social Stress Test) um 75% – 100 % anstieg. Auch dauerte die Hautreaktion wesentlich länger.
Eine mögliche Erklärung: Prof. Dr. med. Uwe Gieler von der Klinik für Psychosomatik & Psychotherapie, Universität Gießen: „Die Haut und das zentrale Nervensystem haben den gleichen entwicklungsgeschichtlichen Ursprung – beide bilden sich beim Menschen aus den gleichen Anlagen.“
Magen-Darm-Erkrankungen und Stress
Magen und Darm reagieren empfindlich auf Dauerstress. Wir erinnern
uns: in akuten Stresssituationen wird die Verdauung zurückgestellt, weil Blut
und Energie an anderer Stelle gebraucht werden könnten. Wird jedoch die
Darmschleimhaut dauerhaft schlechter mit Blut versorgt, dann kann sie Schaden
nehmen. Alexandra Kranzeder vom Uniklinikum Ulm: „Sie wird dann durchlässiger
für im Darm befindliche Bakterien und andere Substanzen. Dadurch werden
Immunzellen in der Darmwand aktiviert, die Mastzellen, die dann ihrerseits über
Botenstoffe Entzündungsreaktionen auslösen.“ Zudem haben manche Stresshormone
direkten Einfluss auf die Mastzellen-Aktivität. Alles in allem kann Stress
chronische entzündliche Darmerkrankungen hervorrufen.
Weiters sind Reizdarm, Sodbrennen und Magengeschwüre mit
langfristigem Stress assoziert. Im Anhang findest du einen Artikel des
wissenschaftlichen Magazins Spektrum, der detailliert ausführt, warum Stress
auf die Verdauung schlägt.
Stress und Rheuma
Laut O. Malysheva, M. Pierer, U. Wagner und C.G.O. Baerwald Kann
bereits leichter oder moderater, chronischer Stress, die Aktivität einer
rheumatischen Arthritis steigern. Hat man zu Beginn der Erkrankung Stress, so
schreitet sie schneller fort. Weiters gibt es einen Zusammenhang zwischen
Stress und dem Auftreten einer rheumatischen Arthritis. Die Autoren empfehlen
unter anderem kognitive Umstrukturierung, d.h. Arbeit am Mindset,
Entspannungstechniken zur Prävention. Wie das geht darauf kommen wir in den folgenden
Artikeln und unserem Seminar zu sprechen.
Stoffwechsel und Stress:
Erhöhte Leberwerte, Nierenerkrankungen, Stoffwechselstörungen,
Diabetes, ein gestörter Hormonstoffwechsel – all das können Folgen von
Dauerstress sein. Es gibt soviele Erkrankungen, die mit chronischem Stress in
Verbindung gebracht werden, dass wir sie hier nicht alle nennen oder gar
erläutern können.
Stress, Alter, Gesundheit
Stresslevel, Alter und Gesundheit beeinflussen sich gegenseitig.
Egal in welchem Alter – Bei häufigen Stress ist die Gesundheit signifikant
schlechter als bei weniger gestressten Menschen. Dieser Unterschied vergrößert
sich laut TK Stress Studie 21 mit zunehmenden Alter: unter häufig gestressten
unter 40-jährigen gaben 14,1% der einen
schlechten Gesundheitszustand an; bei den über 60-jährigen häufig Gestressten
war der Gesundheitszustand bei 58,9% als schlecht angegeben. Zum Vergleich: bei
den nie Gestressten Ü 60 ging es nur 13,2 % gesundheitlich schlecht. Dies zeigt
klar auf, dass Stress mit jedem Lebensjahr zu einem größeren Risiko für die
Gesundheit wird!
Stress lässt dich schneller altern!
Wir sprachen bereits darüber, dass wir laut Studienlage mit
steigendem Alter stressanfälliger werden. Aber auch umgekehrt gibt es einen
eher ungünstigen Zusammenhang: Stress lässt uns nachweislich körperlich
schneller altern.
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München
haben 2015 herausgefunden, dass lebenslanger Stress den Alterungsprozess
beschleunigt.
Anthony Zannas, Erstautor der Studie: „Wir haben herausgefunden, dass diese durch Stress bedingte Reprogrammierung an den Stellen im Erbgut stattfindet, die auch mit Alterungsprozessen in Verbindung gebracht werden“, das heißt das lebenslang stressgeplagte Menschen epigenetisch älter eingestuft wurden, als ihr tatsächliches Alter erwarten liess. Durch die frühere Alterung klopfen dann auch altersbedingte Erkrankungen wie kardiovaskuläre, neurologische, metabolische oder Demenz-Krankheiten an die Tür.
Wie hoch ist dein Stresslevel?
Vielleicht fragst du dich: Woher weiß ich ob ich gestresst bin?
Dann haben wir eine Checkliste für dich: Am Ende des Artikels verlinken wir dir
einen professionellen Fragebogen der LVR Klinik Bonn zur Selbsteinschätzung.
Damit kannst du die einzelnen Stresssymptome abfragen und quantifizieren, um
einen ersten Eindruck zu bekommen.
Stressdiagnostik
Wie verläuft eine Stressdiagnose? – Um festzustellen, ob jemand an
chronischem Stress leidet, erfolgt
Eine Befragung nach Stimmung, Lebenssituation, Stressoren, sozialem Umfeld, Ernährung, Bewegung und so weiter, um sich ein Bild des Leidensdrucks, der Symptome und des Kontexts zu machen.Es gibt weiters das Instrument des Social Readjustment Rating Scale (SRRS), dessen Nutzen allerdings kontrovers diskutiert wird. Hier werden mögliche Stressoren gelistet und mit Punkten bewertet. Dabei geht es zum Beispiel unter anderem um Geld, Nöte, Arbeitslosigkeit, Todesfall im Umfeld, Beziehungsprobleme etc.
Dazu gibt es noch verschiedene diagnostische Verfahren aus der
Schulmedizin:
Labortest Kortisol :Im Speichel kann der Kortisolgehalt gemessen werden. Ein solcher
Test kann selbstverständlich in der Arztpraxis durchgeführt werden. Es gibt
aber auch Tests ab 20 €, die man online bestellen kann. Die Testung sollte
morgens stattfinden oder mehrmals über den ganzen Tag verteilt.Der Kortisolwert
kann auch im Blut gemessen werden. Üblicher ist der Speicheltest.
Labortest Blut: Im Blut werden mögliche Entzündungswerte festgestellt.
Herzratenvariabilitäts-Analyse (HRV-Analyse) mit dem HRV-Scanner.:
Die Herzratenvariabilitäts-Analyse ermittelt die Millisekunden,
die zwischen den Herzschlägen vergehen. Bei einem gesunden Herzen sind diese
Zeitabschnitte unterschiedlich beziehungsweise variabel. Die HRV wird
beeinflusst von der Atmung, von Stoffwechsel, Hormonen, der Bewegung, von
kognitiven Prozessen – und du ahnst es schon: von Stress und Entspannung. In
stressigen Situationen, zum Beispiel Fight & Flight Reaktionen nimmt die
Herzratenvariabilität ab, in Entspannungssituationen, zum Beispiel Rest &
Digest nimmt sie zu. Sind die Zeiten zwischen den Herzschlägen variabel, dann
hat sich der Körper die Fähigkeit runter zu fahren und sich zu erholen
erhalten. Die HRV-Analyse gilt als zuverlässig um den Stresszustand des Körpers
zu bestimmen.
Dexamethason-Hemmtest : Sehr vereinfacht gesagt: Hier führt man ein Kortisolhemmendes
Mittel zu und schaut, ob es noch Wirkung zeigt
Relativ neu ist Neuropattern, ein diagnostisches Verfahren, dass Prof. Hellhammer von der
Universität in Trier entwickelt und in Studien getestet hat. „Neuropattern™
misst biologische, psychische und körperliche Signale der Stressreaktion und
setzt diese in Beziehung zueinander. Diese Muster (Neuropattern) ermöglichen
Rückschlüsse auf individuelle Fehlregulationen stressrelevanter Systeme, welche
psychische und psychosomatische Erkrankungen auslösen und aufrechterhalten
können
Die Ergebnisse der einzelnen diagnostischen Verfahren ergeben
zusammengenommen dann inwieweit eine chronische oder auch akute Stressbelastung
vorliegt.
Wie entsteht Stress?
Das transaktionale Stressmodell von Lazarus
Der US-amerikanische Psychologe Richard Lazarus entwickelte 1984
das nach ihm benannte transaktionale Stressmodell. Er wollte herausfinden warum
der selbe Stressor unterschiedliche Stressreaktionen hervorruft. In den Jahren
zuvor hatte eher Versuche gemacht in denen er Menschen brutalen Bildern
aussetzte, die Stress auslöst. Er fand heraus, dass Erklärungen beim Zeigen der
Bilder den Stressminderheiten. Und das besonders Erklärungen vorzeigen der
Bilder die Erwartungen und somit auch das Stresslevel runter regulierten.
Insofern ging er davon aus, dass die kognitive Beurteilung eines Stressors eine
Möglichkeit sein könnte auf das Stressgeschehen einzuwirken.
Das Lazarus Stessmodell kurz erklärt:
Bevor wir in Stress verfallen beurteilen wir, ob der Reiz für uns
überhaupt gefährlich werden könnte (primäre Bewertung). Ist das so, dann prüfen
wir, ob wir genügend Ressourcen wie Geld, Zeit, Energie, Geschick, Wissen,
Übung, Unterstützung usw. haben, um eine potentielle Bedrohung abzuwenden
(sekundäre Bewertung). Erst wenn wir Zweifel haben, dass uns das gelingt,
bricht Stress aus. Hier gibt es nun zwei Möglichkeiten, um zurecht zu kommen:
wir ändern die Situation (problemorientiertes Coping) oder wir ändern die
Einstellung zur Situation (emotionsorientiertes Coping).
Das Stressmodell nach Lazarus hilft uns zu verstehen, warum
Menschen auf die selben Stressoren völlig unterschiedlich reagieren: die selbe
Situation kann bei Peter eine Stressreaktion auslösen und Paula bemerkt sie
nicht einmal.
Zudem kann diese psychologische Betrachtungsweise helfen mit
Stress umzugehen. Denn Stress entsteht nicht mehr einfach automatisch durch
Auftauchen eines Stressors; vielmehr haben wir mehrere Instanzen, auf die wir
einwirken können und so vielleicht zu einer anderen Beurteilung von Reiz und
Ressourcen gelangen.
Stress ist ein vielschichtiges Phänomen, das durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden kann. Eine genaue Analyse dieser Faktoren ist entscheidend, um effektive Bewältigungsstrategien zu entwickeln und ein gesundes Gleichgewicht zu erhalten.
Stressfaktoren:
Arbeitsbelastung: Hohe Arbeitslasten, knappe Fristen und ein überfüllter
Terminkalender können zu einem erheblichen Maß an Stress führen. Der ständige
Druck, permanent produktiv zu sein und hohe Leistungserwartungen zu erfüllen,
kann dazu führen, dass sich Mitarbeitende überfordert und gestresst fühlen.
Zwischenmenschliche Konflikte: Konflikte am Arbeitsplatz, sei es mit Kolleg*innen, Vorgesetzten
oder Kund*innen, können zu erheblichem Stress führen. Missverständnisse,
ungelöste Konflikte und mangelnde Kommunikation können das Arbeitsumfeld
belasten und die Stresslevels erhöhen.
Ungewissheit: Unsicherheit über die Zukunft des Unternehmens, Änderungen in der
Unternehmensstruktur oder Unsicherheit über die persönliche berufliche
Entwicklung können zu einem Gefühl der Instabilität und Angst führen.
Mitarbeitende, die sich in einer ungewissen Situation befinden, können
gestresst und besorgt sein.
Zeitdruck: Enge Fristen und Zeitdruck können zu einem Gefühl der Hektik und
Überforderung führen. Mitarbeitende, die unter Zeitdruck stehen, können
Schwierigkeiten haben, ihre Aufgaben rechtzeitig zu erledigen, was zu Stress
und Angst vor Versagen führen kann.
Perfektionismus: Der Drang, perfekt zu sein und immer höchste Standards zu
erfüllen, kann zu einem enormen Stressfaktor werden. Mitarbeitende, die unter
Perfektionismus leiden, setzen sich oft unter Druck, immer mehr zu leisten und
keine Fehler zu machen, was zu einem hohen Maß an Stress und Angst führen kann.
Berufliche Überlastung: Die Kombination aus beruflichen und persönlichen Verpflichtungen
kann zu Überlastung und Burnout führen. Mitarbeiter*innen, die sich überlastet
fühlen, haben oft Schwierigkeiten, zwischen Arbeit und Privatleben zu trennen,
was zu einem hohen Maß an Stress und Erschöpfung führen kann.
Mangelnde Kontrolle: Das Gefühl, keine Kontrolle über die Arbeitssituation zu haben,
kann zu einem erheblichen Stressfaktor werden. Mitarbeitende, die das Gefühl
haben, dass ihre Arbeit und ihre Entscheidungen nicht geschätzt oder
kontrolliert werden, können sich hilflos und gestresst fühlen.
Unklare Rollen und Erwartungen: Unklare Rollen, unzureichende Schulung und mangelnde
Unterstützung können zu Verwirrung und Frustration führen. Mitarbeiter*innen,
die nicht wissen, was von ihnen erwartet wird oder welche Rolle sie im Team
spielen sollen, können sich gestresst und überfordert fühlen.
Was löst am meisten Stress aus?
Im Jahr 2021 beauftragte die Techniker Krankenkasse das
Meinungsforschungsinstitut Forsa mit einer Befragung zum Thema Stress. Das
Thema wurde allumfassend behandelt. Im Anhang befindet sich ein Link, denn die
Ergebnisse der Befragung sind überaus lesenswert.
Eine Frage war: „Was führt hauptsächlich dazu, dass Sie sich
gestresst fühlen?“. Es durften mehrere Antworten genannt werden. Ganz vorne:
Stress am Arbeitsplatz mit 47%, gefolgt von den Ansprüchen an sich selbst 46%.
Stressoren und Geschlecht
In der eben genannten Studie unterschieden sich die Stressoren bei
Männern und Frauen: Der Hauptgrund den 55% der Frauen anführten waren zu hohe
Ansprüche an sich selbst. Männer schienen sich diesbezüglich mit 36 % weniger
zu stressen. Dafür war bei Männern der Hauptgrund für Stress mit 49% Schule,
Studium, Beruf; bei Frauen waren es 45 %.
Der Bereich Stress durch Schule, Studium, Arbeit ist der einzige
Bereich, indem Männer ein wenig mehr gestresster sind als Frauen. Sonst sind
durchweg Frauen überall mehr im Stress.
Besonders in den Bereichen partnerschaftliche Konflikte und
Erziehungs- und Pflegearbeit sind Frauen signifikant gestresster als Männer. Es
wird vermutet, dass Frauen höhere Belastungen stemmen müssen und dadurch auch
mehr Stress haben.
Frauen, die nicht erwerbstätig sind, haben genauso viel Stress wie
Männer, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Auch hier wird in der TK Studie
die Belastung durch Carearbeit als Ursache vermutet.
Individuelle Stressanfälligkeit:
Wir haben es zuvor schon erwähnt: Grundsätzlich kann die gleiche
Situation bei der einen Person enormen Stress auslösen, eine andere jedoch kann
damit besonnen und strategisch umgehen. Die persönliche Bewertung der
jeweiligen Situation spielt eine große Rolle wie wir im Lazarus Stress-Modell
gesehen haben oder andere Faktoren wie zB. das Alter, der sozioökonomische
Status etc.
Hier noch mal eine Liste der Faktoren
für die individuelle Stressanfälligkeit:
- Bedrohungspotential
- Ressourcen zur Bewältigung (Zeit, Kraft, Geld etc)
- Menge der Belastungen
- Alter
- Geschlecht
- Gesundheit
- Sozioökonomischer Status
- Psychische Ressourcen
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