Welche Funktion hat das Darm-Mikrobiom – und wie halte ich es gesund?
Wir alle beherbergen Billionen von Mikroben in unserem Körper. Experten auf der ganzen Welt erforschen ihre vielfältigen Funktionen.
Die Regenwälder des Amazonas sind Heimat einer immensen Artenvielfalt. Als die amerikanische Wissenschaftlerin Maria Gloria Dominguez-Bello dort vor rund 30 Jahren ihre Forschungen begann, konzentrierte sie sich nicht auf die majestätischen Kapokbäume oder die exotische Flora und Fauna. Ihr Interesse galt der Vielfalt an Mikroben, die die einheimischen Menschen in ihrem Darm tragen.
Dominguez-Bello, eine Mikrobiologie-Professorin an der Rutgers-Universität in New York, begleitete ihre Probanden über viele Jahre. Einige verließen den Regenwald und zogen in Dörfer oder Städte um, wobei sie innerlich verarmten. Mit den modernen Lebensbedingungen erlebten sie ein Artensterben in ihrem Darm. Zugleich litten sie unter Krankheiten, die in ihrer ursprünglichen Heimat selten waren: Diabetes, Allergien und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
38 Billionen – eine Zahl mit zwölf Nullen, die ungefähr 5000 Mal so groß ist wie die Weltbevölkerung. So viele Mikroorganismen wie Bakterien, Viren und Pilze bewohnen jeden von uns, schätzen Experten. Die größte Artenvielfalt findet sich dabei im Darm.
Neuere Forschungen haben gezeigt, dass diese Mikroben nicht nur die Verdauung unterstützen, indem sie Nahrungsmittel wie Schnitzel und Salat aufspalten. Das Mikrobiom, also die Gesamtheit unserer Mikroorganismen, hat vielfältige Auswirkungen. Es spielt eine Rolle bei der Bestimmung unserer Gesundheit und beeinflusst sogar unsere Stimmung. „Wir sind viele – ein riesiger Metaorganismus“, so beschreibt es Prof. Dr. Thomas Bosch, ein Mikrobiomforscher aus Kiel. Mensch und Mikrobe bilden nach wissenschaftlicher Auffassung eine Einheit.
Mikrobiom-Forschung
steht noch am Anfang
Wie viele Ökosysteme, so ist auch der komplexe Mikrokosmos in uns gefährdet. Die globalen Lebensbedingungen erschweren es einigen Bakterien, in unserem Körper zu überleben. Wir reinigen unsere Küchen mit Desinfektionsmitteln und verzehren Fertignahrung, deren Konservierungsstoffe nicht nur Schimmelpilze und Verderbnisbakterien abtöten. Es ist ebenfalls bekannt, dass Antibiotika nicht nur pathogene Keime eliminieren. Jedes Medikament, das wir einnehmen, interagiert zuerst mit unserem Mikrobiom.
Aber welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Viele Experten weltweit sind der Ansicht, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der zunehmenden Zahl von Lifestyle-Erkrankungen und einer drastischen Artenarmut in uns besteht.
Im Sonderforschungsbereich der Universität Kiel wird versucht, das komplexe Ökosystem besser zu verstehen, indem man seine Stärken und Schwächen erforscht. Seitdem moderne Genanalysemethoden vor über 15 Jahren Einblicke in diese verborgene Welt ermöglicht haben, ist die Anzahl der Veröffentlichungen sprunghaft angestiegen. Dennoch steht die Forschung immer noch am Anfang.
Bis heute ist es meistens nicht möglich, mit Sicherheit zu sagen, ob ein Mikrobiom gesund oder krank ist.
Je
vielfältiger das Mikrobiom, desto gesünder
Unser Wissen über das innere Leben wächst stetig. Heute ist bekannt, dass unser Mikrobiom so einzigartig ist wie ein Fingerabdruck. Je vielfältiger der Bakterienmix, desto besser ist es für uns.
In jedem Ökosystem gilt: Je größer die Diversität, desto gesünder ist es. Dies trifft auch auf den Darm zu: Ein vielfältiges Mikrobiom ist widerstandsfähiger. Mittlerweile weiß man, dass Bakterien bereits früh in unserer Entwicklung eine Rolle spielen. Sie schulen beispielsweise unser Immunsystem und weisen ihm den Weg.
Dieser Prozess beginnt bereits im Mutterleib. Kommt es zu Störungen, etwa durch das Fehlen bestimmter Mikroben oder ihrer Metaboliten, erhöht sich das Risiko für diverse Krankheiten.
Zusammenhang
mit verschiedenen Erkrankungen
Es ist anerkannt, dass das Mikrobiom sich bei zahlreichen Krankheiten verändert. Zu diesen gehören Leiden, die zunehmend auch jüngere Menschen in der westlichen Welt betreffen, wie Darmkrebs, Typ-2-Diabetes und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
Was geschieht im Darm und wie lässt sich dieses Wissen anwenden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Team von Prof. Dr. Dirk Haller, Mikrobiologe an der Technischen Universität München. Im Mittelpunkt seiner Forschung stehen Mikrobiom-Signaturen, die charakteristischen Muster der bakteriellen Vielfalt, welche auf Krankheiten oder ein erhöhtes Risiko hinweisen können. Experten sind tatsächlich in der Lage, solche Signaturen zu identifizieren.
Es wird zunehmend deutlich, dass Darmbakterien eine Rolle bei der Entstehung von Krankheiten spielen könnten. Beispielsweise kann die Übertragung von Stuhl schlanker, gesunder Personen einen positiven Effekt auf Diabetes Typ 2 haben. Es stellt sich die Frage, ob bald eine Diagnose von Darmkrebs anhand des Mikrobioms möglich sein wird und ob in naher Zukunft eine Mikrobiom-Therapie für Diabetiker verfügbar sein könnte.
Ein mögliches Ziel ist die Entwicklung einer völlig neuen Generation von Medikamenten: Arzneimittel, die vorteilhafte Stoffwechselprodukte von Darmbakterien beinhalten. Weltweit wird bereits an solchen Produkten geforscht, doch befinden sich diese Entwicklungen noch in einem frühen Stadium. Dies gilt auch für Mikrobiom-Tests, wie beispielsweise für Darmkrebs.
Die beste
Vorsorge ist noch immer die Darmspiegelung.
Mithilfe dieser Technik können Krebsvorstufen identifiziert und unmittelbar beseitigt werden. Ein Mikrobiom-Stuhltest könnte künftig ein Bestandteil der präventiven Maßnahmen sein. Allerdings steht Dirk Hallers Forschungsteam noch vor umfangreichen Aufgaben, bevor dies Realität wird. Abgesehen von einigen Ausnahmen ist die Entwicklung von Mikrobiom-Therapien noch in weiter Ferne.
Unsere Darmbewohner sind oft eher Opfer der modernen Medizin als ein Teil davon. Es ist seit langem bekannt, dass Antibiotika nicht nur schädliche Bakterien bekämpfen.
Studien haben ergeben, dass zahlreiche Nicht-Antibiotika-Medikamente einen erheblichen Einfluss auf das Mikrobiom ausüben. Dies betrifft Arzneimittel zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck und psychischen Erkrankungen.
Ein gesundes Mikrobiom fungiert als Schutzbarriere. Existieren jedoch Lücken, können sich Pathogene leichter ansiedeln. Bestimmte Medikamente, einschließlich solcher, die die Produktion von Magensäure reduzieren, wie beispielsweise Omeprazol, steigern das Risiko für Infektionen.
Das Forschungsteam entdeckte einen besonders starken Einfluss von Psychopharmaka auf das Mikrobiom, also jene Medikamente, die auf das Gehirn wirken. Ist das ein Zufall? Es ist bekannt, dass die Mikroorganismen in unserem Körper eng mit dem Nervensystem verbunden sind. In der Wissenschaft wird dies als Darm-Hirn-Achse bezeichnet, eine Art direkte Verbindung, über die Darmmikroben mit unserem Gehirn kommunizieren können.
Es handelt sich derzeit noch um Grundlagenforschung, doch das Potenzial ist beträchtlich. Ein mögliches Ziel ist die Entwicklung von Medikamenten, die Darmbakterien gezielt vor Antibiotika schützen. Ebenso sind individualisierte Ansätze denkbar, wie Tests, die prognostizieren, welche Medikamente am effektivsten sind, da bestimmte Mitglieder des Mikrobioms dazu führen können, dass Wirkstoffe, wie beispielsweise das Herzmedikament Digoxin, deaktiviert werden..
Während weltweit Forschende enorme Datenmengen sammeln und das komplexe Wechselspiel zwischen Mensch und Mikroorganismen zu entschlüsseln versuchen, fragen sich viele: Was kann ich bereits jetzt unternehmen, um die gesunde Vielfalt meines Mikrobioms zu unterstützen?
Die Richtlinien sind klar: Mikroben bevorzugen keine stark verarbeiteten Nahrungsmittel oder Fertiggerichte. Besser ist es, selbst zu kochen, reichlich Obst und Gemüse zu verwenden und unbehandelte Kartoffeln im Dorfladen oder auf dem Bio-Markt zu erwerben, idealerweise aus der Region. So bleibt Frisches ohne lange Transportwege erhalten. Man sollte den Konsum von Fleisch und Zucker reduzieren. Ballaststoffe, wie sie in Vollkornprodukten vorkommen, sind ebenfalls ausgezeichnetes Mikrobenfutter – und Bewegung dient als Dessert. Zahlreiche Studien belegen, dass auch Sport die Diversität in unserem Mikrobiom fördert.
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Quellen:
Walter A., Hoyles L.: Human microbiome myths and
misconceptions. Nature Microbiology: https://www.nature.com/
Vanessa R., Faith J. et al.: Gut Microbiota from Twins
Discordant for Obesity Modulate Metabolism in Mice. Science Science : https://www.science.org
Maier L. et al.: Unravelling the collateral damage of
antibiotics on gut bacteria. Nature: https://www.nature.com
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