Körperfett runter -Muskelmasse hoch - ein Interview mit Prof. Stefan Geisler


Wie viel Sport braucht es, um abzunehmen und fit zu bleiben? Wie viel Ausdauer-, wie viel Krafttraining? Und wie senke ich meine Mortalität?

Es sind alarmierende Zahlen: In nur 40 Jahren hat sich die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen in Europa massiv erhöht. Fast jedes zehnte Kind unter fünf Jahren gilt inzwischen als übergewichtig. Die Zahl dicker Jungen im Alter von fünf bis 19 Jahren verdreifachte sich zwischen 1975 und 2016, bei den gleichaltrigen Mädchen verdoppelte sie sich.

Das belegen Daten einer Studie der WHO aus 2022. Demnach sind inzwischen knapp zwei Drittel (59 Prozent) aller Erwachsenen in Europa übergewichtig oder fettleibig, 63 Prozent der Männer und 54 Prozent der Frauen.

Unser Ausbilder Gernot Brecht hatte letztlich die Möglichkeit am Rande eines Events mit Professor Stefan Geisler darüber zu reden. Stefan Geisler ist Professor für Fitness & Health Management an der Hochschule in Düsseldorf und Dozent für olympisches Gewichtheben an der Deutschen Sporthochschule Köln. Dort promovierte er auch im Bereich der molekularen Sportmedizin.

„Das Thema Fitness wurde vor gar nicht so vielen Jahren noch belächelt, doch wenn man sich allein die demografische Entwicklung anschaut, dann muss ein Umdenken stattfinden“, ist Geisler sich sicher. „Stichwort Überalterung, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese Probleme kann man mit Fitness nicht nur bekämpfen, sondern sogar besiegen.“

Gernot Brecht : Herr Professor Geisler, das Thema Fettverbrennen gilt beim Fitnesstraining als eine Art heiliger Gral. Lässt sich Fett wirklich ‚verbrennen‘.

Prof. Stephan Geisler: In unserem Körper brennt nicht wörtlich ein kleines Feuer, in das wir Fett hineinschaufeln. Fettverbrennung ist ein oxidativer Prozess. Wenn überhaupt, könnte man sagen, dass wir das Fett 'wegrosten'. Es herrscht oft das Missverständnis, dass man zur Gewichtsreduktion speziell im Bereich des Fettstoffwechsels trainieren muss. Dies ist ein Mythos, der sich in den 90er Jahren verbreitet hat. Damals wurde gelehrt, dass man beim Ausdauertraining langsam laufen sollte, um vorrangig den Fettstoffwechsel zu aktivieren. Diese Aussage stimmt insofern, als der Körper bei längerer, geringer Energieanforderung aus ökonomischen Gründen auf die Fettreserven zurückgreift.

Brecht: Sie sprachen aber von einem Missverständnis.

Geisler: Das Problem ist, dass dies nicht der einzige Weg ist, um Fett zu verlieren. Der Körper greift auf Fettreserven zurück, wenn er mit einem Nährstoffmangel konfrontiert wird. Hierbei ist die kalorische Bilanz entscheidend. Nimmt man weniger Nährstoffe zu sich als benötigt, zehrt der Körper von seinen gespeicherten Reserven. Sehr langsames Laufen ist sinnvoll, aber nicht der einzige Weg, um Fett zu verlieren. Der Hauptfaktor bleibt die Kalorienbilanz, die durch Sport aller Art und Ernährung beeinflusst werden kann. Als Fitnesswissenschaftler muss ich zugeben, dass man auch ohne Sport abnehmen kann, indem man eine Kalorienrestriktion durchführt.

Brecht: Es heißt oft, man solle im Fettstoffwechselbereich trainieren. Gibt es dafür einen Referenzpunkt oder verbrennt man ab dem ersten Schritt Fett?

Geisler: Beides ist grundsätzlich korrekt. Es existieren Referenzwerte, und es ist bekannt, dass der menschliche Körper nahezu alle Makronährstoffe gleichzeitig verbraucht. Allerdings steigt die Rate der Fettsynthese nachweislich erst einige Minuten nach Trainingsbeginn an. Abhängig von der Intensität des Trainings erhöht sich der Fettverbrauch kontinuierlich. Um genau zu bestimmen, bei welcher Geschwindigkeit auf dem Laufband man sich im optimalen Bereich des Fettstoffwechsels befindet, ist ein Laufband-Test mit Spiroergometrie erforderlich. Bei diesem standardisierten Labortest trägt man eine Maske und atmet durch diese. Durch die Analyse der Atemgase, also des Austauschs von Kohlenstoffdioxid und Sauerstoff, kann ein Quotient berechnet werden, der das optimale Trainingstempo für den Fettstoffwechsel angibt.

Brecht: Bevor man effektiv abnehmen kann, sollte man also seine Atemluft messen lassen?

Geisler: Grundsätzlich ist das richtig. Allerdings kann nicht jeder Freizeitsportler eine solche Analyse durchführen lassen. Es gibt zwar kommerzielle Labore, die solche Tests anbieten, jedoch können die Kosten von 100 bis 200 Euro abschreckend wirken. Für solche Fälle existieren einfachere Methoden, wie die Überwachung der Herzfrequenz. Basierend auf der Formel für die maximale Herzfrequenz – 220 Schläge pro Minute minus das Lebensalter – kann man annehmen, dass Training bei etwa 60 bis 65 Prozent des berechneten Wertes höchstwahrscheinlich im Bereich des Fettstoffwechsels liegt. Für viele bedeutet dies ein zügiges Gehen.

Brecht: Nachdem Sie es gerade erwähnten: Sollte man also eher kurz und schneller oder lieber länger und langsam laufen, um Fett abzubauen?

Geisler: Es existieren Studien, die zeigen, dass der Fettstoffwechsel nach etwa 20 bis 30 Minuten Training den Kohlenhydratstoffwechsel übertrifft. Dies führte zu dem Mythos, dass man mindestens 30 Minuten trainieren muss, um Fett zu verbrennen, was sich jedoch als unzutreffend herausgestellt hat.

Brecht: Gelten diese Erkenntnisse nur für den Ausdauersport?

Geisler: Nein. Es geht darum, durch Bewegung Energie umzusetzen. Mechanische Bewegung benötigt Energie. Das heißt: Ob jemand Kniebeugen mit einer Langhantel macht, mit der Axt im Wald Bäume fällt oder joggen geht, ist dem Körper egal. Entscheidend ist der Energieumsatz.

Brecht: Wie erzielt man beim Krafttraining möglichst effektiv Erfolge?

Geisler: Würde man tatsächlich während des Krafttrainings und unmittelbar danach Messungen durchführen, ließe sich feststellen, dass hauptsächlich Kohlenhydrate verbraucht werden. Dies ist von Vorteil, da unsere Gesellschaft mit einem erheblichen Kohlenhydrat-Überangebot konfrontiert ist, was zu Diabetes führen kann. Angesichts des Überflusses an Kohlenhydraten empfehle ich den etwa acht Millionen Diabetikern in Deutschland dringend, Krafttraining zu betreiben. Doch beim Abnehmen zählt nicht nur der Moment des Sports; entscheidend sind die Stunden, Tage, Wochen und Monate dazwischen, in denen die Kalorienbilanz stimmen muss.

Brecht: Wann verbrennt man beim Kraftsport die meisten Kalorien? Weniger Gewicht und mehr Wiederholungen oder schwere Gewichte und weniger Wiederholungen?

Geisler: Interessanterweise gibt es bisher nur wenige aussagekräftige Studien zu diesem Thema. Wir haben kürzlich eine der weltweit ersten Untersuchungen durchgeführt, in der wir Maximalkrafttraining mit Hypertrophie-Training verglichen haben. Dabei stellten wir fest, dass der Energieverbrauch beim Hypertrophie-Training pro Zeiteinheit tatsächlich etwas höher ist. Wir sind dabei, diese Ergebnisse zu veröffentlichen. Im Allgemeinen gilt wahrscheinlich: Je mehr Wiederholungen und je kürzere Pausen, desto höher der Energieumsatz.

Brecht: Ein oft zitierter Trainingstipp lautet: Die Beine trainieren, damit die Bauchmuskeln zum Vorschein kommen. Stimmt das?

Geisler: Das ist mit Sicherheit nicht verkehrt, und zwar aus einem einfachen Grund: Die Beine haben mit Abstand die größte Muskelmasse im menschlichen Körper. Wenn man die bewegt, setzt man viel Energie um. Je mehr Energie man umsetzt, desto stärker beeinflusst man die kalorische Bilanz und nimmt folglich ab. Im Moment des Beintrainings ist man vor allem im Bereich des Kohlenhydrat-Stoffwechsels, aber dadurch wird auf Dauer die Kalorienbilanz stärker beeinflusst, wodurch eine Fettreduktion stattfindet.



Brecht: Wie kombiniert man Ausdauersport und Kraftsport am effektivsten?

Geisler: Eine faszinierende Studie hat erforscht, inwiefern Menschen ihre Mortalität beeinflussen können. Es ist allgemein anerkannt, dass Ausdauertraining die Mortalität reduziert und somit das Leben verlängert, indem es die Faktoren verbessert, die zu einem vorzeitigen Tod führen können. Die Studie untersuchte die Effekte von Muskeltraining und kam zu dem Ergebnis, dass es ähnliche Vorteile bietet: Die Gesamtmortalität verringert sich um zehn bis 17 Prozent allein durch Muskeltraining. Das ist eine erfreuliche Nachricht für alle, die gerne Gewichte heben. Zudem zeigt die Studie, dass die größte Wirkung durch eine Kombination von Kraft- und Ausdauertraining erzielt wird, was auch für die Fettreduktion gilt. Die Kombination beider Trainingsarten ist demnach am wirksamsten.

Brecht: Wie oft muss man in der Woche Gewichte stemmen, um diesen Effekt zu erzielen?

Geisler: Die erfreuliche Mitteilung ist folgende: Der größte Effekt wurde bei 30 bis 60 Minuten Krafttraining pro Woche festgestellt. Somit ist es sehr wahrscheinlich, dass bei zweimal wöchentlichem 30-minütigem Gewichtheben dieser Effekt eintritt. Die Studie ist besonders interessant, da die WHO zwar Krafttraining empfiehlt, aber keine konkreten Angaben macht. Die Information, dass bereits zwei kurze Trainingseinheiten pro Woche genügen, könnte für viele Menschen motivierend wirken.

Brecht: Und in welchem Umfang die Ausdauer trainieren?

Geisler: Da würde ich mich tatsächlich an den WHO-Empfehlungen orientieren. Abhängig von der Intensität zwischen 75 und 150 Minuten pro Woche.

Brecht: Was versteht man unter dem Nachbrenneffekt?

Geisler: Den gibt es wirklich. Er ist aber nicht besonders groß. Nachbrenneffekt bedeutet im klassischen Sinne, dass man eine Anstrengung hat, bei der der Metabolismus gefordert ist. Nach dem Ende der Belastung fällt der Stoffwechsel nicht sofort auf null zurück, sondern es müssen viele Prozesse weiterlaufen, um den Organismus zurück ins Gleichgewicht zu bringen. Das fordert Energie und wird Nachbrenneffekt genannt. Je intensiver die Belastung, desto höher ist dieser Effekt. Das kann man bestätigen. Ich sehe darin allerdings ein Problem. Wenn man das Wort erwähnt, sieht man oft ein Leuchten in den Augen der Menschen, nach dem Motto: ‚Ach, dann darf ich ja was essen.‘ Doch wie bereits erwähnt, die kalorische Bilanz ist entscheidend. Beim Nachbrenneffekt sprechen wir von ein paar Kalorien.

Brecht: Also nach dem Training besser nichts essen?

Geisler: Wer wirklich abnehmen will, der kann das machen. Wer seinem Körper in einer Phase, in der er nach Nährstoffen verlangt, diese nicht gibt, muss sich aber nicht wundern, wenn er am kommenden Tag nicht so leistungsfähig ist. Das ist eine Kosten-Nutzen-Frage.

Brecht: Wie berechnet man seinen Grundumsatz, um das kalorische Defizit überhaupt einhalten zu können.

Geisler: Die Harris-Benedict-Formel bietet eine Möglichkeit, den Grundumsatz näherungsweise zu berechnen und ist im Internet leicht auffindbar. Jedoch können solche auf Referenzwerten basierenden Formeln das Individuum nicht exakt darstellen. Für eine persönliche Ermittlung des Grundumsatzes ist eine Atemgasanalyse im Ruhezustand notwendig, die den täglichen Kalorienbedarf genau bestimmt. Es wird erwartet, dass sich diese Methode in den kommenden Jahren in der Fitnessbranche weiter verbreitet. Trotz der momentan hohen Kosten für die Geräte entwickeln viele Hersteller kostengünstigere Modelle für Fitnessstudios, um auch Hobbyathleten den Zugang zu ermöglichen.

Brecht: Was passiert nach einer längeren Trainingspause mit dem Körper?

Geisler: Die Länge der Trainingsunterbrechung ist ausschlaggebend. Nach einer längeren Pause, die Muskelschwund zur Folge hat, verfügt man über weniger Muskelmasse, die Kalorien verbrennen kann. Dadurch verlangsamen sich die metabolischen Prozesse, was wiederum die Fettverbrennung beeinträchtigt. Dies lässt sich besonders bei Menschen beobachten, die sich über einen langen Zeitraum nicht bewegen, bei älteren Personen oder bei Patienten mit Adipositas. Sie können eine Dyslipoproteinämie entwickeln, eine Störung des Fettstoffwechsels. Der Körper ist dann kaum noch fähig, Fett effektiv zu verarbeiten, da die notwendigen Enzyme nicht mehr produziert werden. Ein junger, aktiver Mensch, der eine Trainingspause einlegt, ist normalerweise jedoch nicht davon betroffen.

Brecht: Wie könnte eine Trainingswoche aussehen, wenn man sagt: Ich will Fett verlieren und Muskeln aufbauen?

Geisler: Ich empfehle Kraft- und Ausdauertraining, wobei ich dem Krafttraining den Vorzug geben und es mit moderatem Ausdauertraining kombinieren würde. Wenn möglich, sollten drei Trainingseinheiten pro Woche eingeplant werden – Montag, Mittwoch und Freitag – um ausreichend Erholung zwischen den Einheiten zu gewährleisten. Das Krafttraining sollte intensiv sein, idealerweise im Bereich der Hypertrophie.

Brecht: Wie sollte man Kraft und Ausdauer kombinieren? An den Trainingstagen selbst oder innerhalb der Einheit?

Geisler: Beide Trainingsformen sind kombinierbar. Die Befürchtung, dass der sogenannte Concurrent-Effect eintritt, wenn Kraft- und Ausdauertraining direkt nacheinander ausgeführt werden, und die Effekte sich gegenseitig neutralisieren, besteht höchstens bei Spitzensportlern. Im Breitensport spielt das keine Rolle. Es ist sogar ratsam, dem Krafttraining 20 bis 30 Minuten moderates Ausdauertraining anzuhängen.

Brecht: Häufig hört man den Satz: Um Fett zu verbrennen, sollte man kein Fett zu sich nehmen.

Geisler: Das ist ein Irrglaube, der aus den Achtzigerjahren stammt. Ich bezeichne solche Behauptungen oft als Zombie-Mythen, weil sie sich hartnäckig halten. Selbstverständlich sollte man Fett konsumieren, es ist sogar notwendig. Es gibt Fettsäuren, wie zum Beispiel Omega-3-Fettsäuren, die für verschiedene Stoffwechselvorgänge unerlässlich sind, auch für das Gehirn. Ein vollständiger Verzicht auf Fette kann schnell zu gesundheitlichen Problemen führen.

Brecht: Also lieber die Kohlenhydrate reduzieren.

Geisler: Richtig, das ist beispielsweise die Grundlage der ketogenen Diät. Hierbei konsumiert man überwiegend Fett und Eiweiß, während die Aufnahme von Kohlenhydraten stark reduziert wird. Viele Menschen erzielen damit ausgezeichnete Gewichtsverluste.

Brecht: Welche Rolle spielt das Alter beim Kampf gegen das Körperfett?

Geisler: Man könnte es so ausdrücken: Der Lebensstil ist entscheidend. Personen mit einem inaktiven Lebensstil, die sich nicht um ihre Ernährung kümmern, werden mit dem Alter wahrscheinlich keine Verbesserung erfahren. Das ist kaum verwunderlich, da die Aktivität der Körperzellen nachlässt und der Stoffwechsel eines 60-Jährigen nicht mehr so effizient ist wie der eines 20-Jährigen. Doch die grundlegenden biologischen Prozesse sind identisch. Auch ein 60-Jähriger kann durch Beachtung seiner Kalorienaufnahme und regelmäßigen Sport seine überschüssigen Pfunde verlieren. Ich leite derzeit eine Pilotstudie, in der über 80-jährige Teilnehmer Krafttraining durchführen, um die positiven Auswirkungen auf ihren Alltag zu untersuchen. Im Idealfall könnte dadurch sogar der Bedarf an Pflegepersonal verringert werden.

Brecht: Was ist für Senioren am wichtigsten? Kraft, Ausdauer, Koordination oder Flexibilität?

Geisler: Da habe ich immer ein Totschlag-Argument. Wer morgens nicht mehr die Kraft hat, allein aus dem Bett aufzustehen, der muss sich um die anderen Fähigkeiten keinen Kopf mehr machen. Sarkopenie, als das Verfallen der Muskulatur im Alter, ist ein wichtiges Thema. Es gibt den schönen Ausspruch: Es geht darum, so gesund wie möglich zu sterben.

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