Besser und gesünder altern
Auch im hohen Alter geistig und körperlich fit zu bleiben
– das ist problemlos möglich. Forscher wissen, worauf es ankommt.
Wo willst Du in 800 Jahren leben?“ Ganz so viele Jahre, wie
die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung auf Plakaten zur
Europawahl versprach, müssen es für die meisten Menschen nicht sein. Möglichst
lange selbständig, gesund und geistig wach zu bleiben und noch den 100.
Geburtstag zu feiern – davon jedoch träumen viele.
Das ist nicht nur möglich. Die Forschung rüttelt derzeit gar
an der Frage, ob ein schwindendes Gedächtnis, kognitiver Verfall und
Gebrechlichkeit überhaupt zwangsläufig zum Altern gehören. Der Gegenbeweis
sind die Super-Ager. Das sind Menschen, die jenseits des 80. Lebensjahrs in
Gedächtnistests noch abschneiden, als wären sie dreißig Jahre jünger. Wie viele
Menschen Super-Ager sind, ist unklar. Zwar haben nur wenige im Alter ein derart
fittes Denkorgan. Wissenschaftler hoffen aber, von diesen Extrempersonen etwas
für die Allgemeinheit zu lernen.
Gedächtnisforscher Emrah Düzel vom Deutschen Zentrum
für Neurodegenerative Erkrankungen in Magdeburg beschäftigt sich damit, was
Super-Ager besonders macht. Sind sie resilient gegen Alterungsprozesse, die uns
mit den Jahren Gehirnzellen verlieren lassen? Sind die winzigen Blutgefäße im
Hirn bei ihnen durch besondere Mechanismen gefeit davor, Schaden zu nehmen –
und versorgen das Hirn deshalb besser als bei normalen Menschen mit Sauerstoff
und Nährstoffen? Können sie die Proteine bekämpfen, die sich im Gehirn alter
Menschen ablagern und die Nervenzellen stören?
Von den Gehirnscans und Untersuchungen der Super-Ager waren
Düzel und sein Team überrascht. „Tatsächlich scheinen Super-Ager einfach ein
sehr gesundes Gehirn zu haben“, sagt Düzel. Ihr Gehirn war kaum geschrumpft,
die Blutgefäße waren intakt, Proteinablagerungen fehlten. Das regt die Frage
an: Was ist normales Altern? Sind womöglich die Super-Ager diejenigen, die
biologisch normal sind? Die Gehirngesundheit im Alter wird von vielen Faktoren
über das Leben hinweg beeinflusst: dem Stoffwechsel, der Ernährung, Krankheiten
wie Bluthochdruck, der Gesundheit der Blutgefäße und dem Lebensstil. „Wenn
diese Faktoren optimal sind, könnte ein stabiles Gedächtnis bis 80 regelhaft
sein“, vermutet Düzel.
Um ein echter Super-Ager zu werden, müsse wahrscheinlich
auch eine genetische Veranlagung vorliegen, die aber bislang unbekannt ist.
Davon abgesehen, dass die Gehirne der Super-Ager sehr gesund
wirkten, weisen sie noch eine Besonderheit auf, berichtet Düzel: Ein Bereich
des vorderen Teils des Gyrus cinguli war im Vergleich relativ groß. Dabei
handelt es sich um eine Region, die mit Beharrlichkeit und der Fähigkeit,
Anstrengungen aufrechtzuerhalten, in Verbindung gebracht wird. „Das könnte die
Grundlage dafür sein, dass Super-Ager einen gesünderen Lebensstil pflegen.“
Aber nicht jeder, der gesund lebt, wird ein Super-Ager, betont Düzell. Wie
gesund und fit wir im Alter sind und wie gut unser Gedächtnis funktioniert,
können wir dennoch beeinflussen. Studien zeigen: Die Gene bestimmten nur zu
etwa 25 Prozent, wie alt wir werden können.
Vier von zehn Demenzerkrankungen ließen sich theoretisch
verhindern, berichten Forscher in „The Lancet“ im Jahr 2020, wenn bestimmte
beeinflussbare Faktoren vermieden würden: Darunter Rauchen, Einsamkeit,
Übergewicht, übermäßiges Alkoholkonsum, körperliche Inaktivität, schlechter
Schlaf. Wie sich das Beste aus dem Alter herausholen lässt, dazu hat die
Wissenschaft konkrete Vorschläge.
Schlüsselfaktor 1: Bewegung
Betritt man ein Fitnessstudio, sieht man an den
Rudermaschinen oder auf den Laufbändern viele Männer und Frauen – doch nur
wenige von ihnen sind älter als 80 Jahre. Dabei ist gerade im Alter die
Muskelkraft entscheidend. „Durch regelmäßiges körperliches Training lassen sich
Alterungsvorgänge günstig beeinflussen“, sagt Sportmediziner Winfried Banzer,
der unter anderem die Abteilung Präventiv- und Sportmedizin an der
Goethe-Universität Frankfurt am Main leitet. Graue Haare, Falten und steife
Gelenke sind Ausdruck der Alterungsprozesse, die in den Zellen über die Jahre
ablaufen: Dort sammeln sich zum Beispiel Abbauprodukte, der Müll des
Stoffwechsels, weil die Autophagie, die Selbstreinigung, erlahmt. Die DNA wird
anders abgelesen. Zellen teilen sich langsamer und hören irgendwann ganz damit
auf. Überall im Körper nehmen latente Entzündungen zu.
Die Muskelmasse schwindet ab dem 30. Lebensjahr, nach dem
50. Geburtstag sogar rapide. Im Alter von 80 Jahren ist kaum mehr die Hälfte
der Muskelfasern in den Gliedmaßen übrig. Dieser Muskelverlust, die sogenannte
Sarkopenie, lässt sich nicht komplett aufhalten – aber abbremsen.
Wäre Sport ein Medikament, würde man es als Wundermittel für
das Alter bezeichnen: Wer schon im mittleren Alter regelmäßig Sport treibt,
senkt sein Risiko, an Demenz zu erkranken. Sport hilft bei Depressionen,
verlangsamt den Verfall der kognitiven Fähigkeiten, macht zufriedener und
schützt das Gedächtnis.
uskeln sind zudem ein aktives Organ, das den restlichen
Stoffwechsel beeinflusst. Sie schütten bei Bewegung Botenstoffe in die Blutbahn
aus, die sogenannten Myokine, die viele Vorgänge im Körper positiv
beeinflussen. Das Myokin Irisin etwa verbessert die Funktion von Nervenzellen,
lindert Entzündungen und könnte so womöglich vor Alzheimer schützen.
Wer im hohen Alter sportlich aktiv bleibt, der bewahrt zudem
seine Selbständigkeit: Man kann sich schneller bewegen, hat eine bessere
Balance und stürzt nicht so schnell. Das ist umso wichtiger, da Knochen im
Alter fragiler werden – oft führt ein Sturz zu einer Fraktur und ist der Beginn
einer Odyssee aus Operationen, Klinikaufenthalten und Bettruhe. Viele erholen
sich davon nicht mehr.
Doch welcher Sport ist der richtige? Die Ratschläge sind
verwirrend – mal heißt es, man soll Stunden an der Hantelbank verbringen, dann
wird behauptet, kurze Spaziergänge reichten aus. Die Bewegungsempfehlung der
Bundesregierung lautet: Im Alter sollte man 150 Minuten Ausdauersport pro Woche
betreiben.
Was viele nicht wissen: Im hohen Alter ist Krafttraining
wichtig. „Das hat den größten Effekt auf die Morbidität“, sagt Banzer.
Idealerweise solle man zwei- oder dreimal die Woche rund 45 Minuten
Krafttraining betreiben, meint er. Dabei sind Geräte, die große Muskelgruppen
fordern – etwa den ganzen Rücken oder die Beine –, nützlicher, als gezielt
Bizeps-Übungen zu machen. Man sollte sich professionell beraten lassen, sagt
er. Auch wer erst im Rentenalter mit dem Training beginnt, kann noch enorme
Muskelkraft entwickeln, zeigen zahlreiche Studien.
Schlüsselfaktor 2: Ernährung
Besonders im Alter sollte man auf seine Ernährung achten.
„Ältere Menschen haben einen höheren Bedarf an Eiweiß“, erklärt Kristina
Norman, die unter anderem an der Charité die Zusammenhänge zwischen
Alterungsprozessen und der Ernährung erforscht. Während junge Menschen nicht
mehr als 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen sollten,
liegt der Bedarf bei älteren Menschen bei mindestens einem Gramm. Im Alter gilt
es nicht nur, dem Muskelschwund entgegenzuwirken, sondern auch der sogenannten
anabolen Resistenz: Der Körper kann Protein aus der Nahrung weniger gut
aufnehmen und für den Muskelaufbau verwerten. Um genügend Eiweiß zu verzehren,
muss man nicht jeden Tag Putenbrust essen. Joghurt, Eier oder Soja liefern
ebenfalls Protein. „Wenn man nicht mehr so viel essen möchte oder kann, ist es
wichtig, dass die Proteinquellen hochwertig sind“, sagt Kristina Norman.
Wer sich gesund ernährt, schützt sich vor vielen
Volkskrankheiten – von Adipositas, Diabetes Typ 2, Demenz bis zu
Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Gemäß einer Auswertung der UK Biobank in „Nature
Food“ kann die richtige Auswahl des Essens uns bis zu zehn Lebensjahre
schenken. Den größten Nutzen hat, wer schon in jungen Jahren viele
Hülsenfrüchte, Gemüse, Nüsse, Vollkornprodukte und gute Öle zu sich nimmt.
Langlebigkeitsexperten empfehlen zudem Fisch und Fette aus pflanzlichen
Quellen. Vermeiden sollte man übermäßigen Zucker, hochverarbeitete Lebensmittel
wie Tiefkühlpizza und rotes Fleisch. Zum Beispiel scheinen gesättigte
Fettsäuren, die in Butter oder Schnitzel stecken, auf Zellebene zu Entzündungen
zu führen, etwa im GehirWelche Lebensmittel genau für ein gesundes Altern
wichtig sind, dazu gibt es zahllose Theorien. Im Buch „How Not to Age“ hat der
Arzt und Ernährungswissenschaftler Michael Greger viele Studien ausgewertet:
Für ihn sind Nüsse, Salate und Beeren wahre Jungbrunnen – sie liefern etwa
Antioxidantien oder wichtige Nitrate. Auch Lebensmittel für eine gesunde
Darmflora zählen – Ballaststoffe oder Fermentiertes. Denn im Alter werden die
Bakterienstämme, Viren und Parasiten im Darm weniger vielfältig. Für eine in
„Current Biology“ veröffentlichtete Studie haben italienische Forscher 2016
Stuhlproben von 24 Menschen analysiert, die durchschnittlich 106 Jahre alt
waren. Die Super-Senioren wiesen ein überraschend komplexes Mikrobiom auf und
besonders viele Bakterien, die mit Gesundheit assoziiert werden, wie
Bifidobakterien.
Nicht alle Langlebigkeitsempfehlungen gelten für jeden: In
Tierstudien zeigte sich etwa, dass weniger Nahrung die Nager länger leben ließ.
Die Idee der Kalorienrestriktion steckt auch hinter Anti-Aging-Diäten und dem
Fasten. Doch im Alter ist die Gefahr einer Mangelernährung groß, darum sollte
man das Fasten eher den Jüngeren überlassen. Um herauszufinden, wie man
möglichst lange gesund lebt, schauen vor allem tüchtige Geschäftsleute auf die
sogenannten Blue Zones. In diesen Regionen werden die Menschen auffällig alt:
Dazu gehören Sardinien, Okinawa in Japan und Loma Linda in Kalifornien, wo
viele Siebenten-Tags-Adventisten leben. Mit der „Blue Zone Diät“ werden zwar
viele Bücher verkauft, doch ihre Ernährung ist recht unterschiedlich: Die
Adventisten sind Vegetarier, in Sardinien isst man Fleisch und in Okinawa mehr
Fisch. Norman glaubt jedoch, dass ein anderer Aspekt die Blue Zones vereint.
„Die Menschen essen gemächlich und nicht über den Hunger hinaus, und das Essen
hat eine soziale Komponenten. Das ist wiederum ein Faktor im Alterungsprozess.
Schlüsselfaktor 3: Sozialleben
Viele Menschen haben es in der Corona-Pandemie gespürt:
Allein zu Hause eingepfercht zu sein lässt den Geist verkümmern. Ein aktiver
Alltag hingegen, Hobbys zu pflegen und etwa ein Instrument zu spielen halten
das Gehirn jung, meinen Altersforscher. Um im Alter kognitiv fit zu bleiben,
ist jedoch vor allem das Sozialleben entscheidend. Das haben Forscher des
Leibniz-Instituts für Resilienzforschung in Mainz bei Menschen herausgefunden,
die im hohen Alter geistig überaus wach waren. Ein Plausch mit der Nachbarin
oder Kaffeeklatsch mit der Familie fordert das Denkorgan ganzheitlicher als
Gehirnjogging-Aufgaben: Emotionen und Aufmerksamkeit sind dabei im Spiel. Auch
wer sein Haus im hohen Alter nicht mehr verlassen mag, tut seinem Denkorgan
etwas Gutes, wenn er mit Freunden oder Bekannten telefoniert.
Besonders enge Freundschaften scheinen zu helfen, das Gehirn
jung zu halten – und sogar länger zu leben, zeigen Studien. Freunde seien für
ein langes Leben ebenso wichtig wie nicht zu rauchen und förderlicher als
Bewegung, bescheinigen Psychologen der Brigham Young University im Jahr 2010.
Doch auch wer lose Bekanntschaften pflegt oder mit Fremden plaudert, hält sein
Gehirn aktiv.
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