Die Wunderkraft der Myokine - Muskeltraining als Apotheke des Körpers
Was sind Mykonie?
Myokine sind hormonähnliche, körpereigene
Botenstoffe, die als Untergruppe der Interleukine (Zytokine,
Peptidhormone) eingestuft wurden und zu den Zellen unseres Immunsystems zählen.
Diese Botenstoffe werden im Muskel als Reaktion auf
Kontraktionen synthetisiert und freigesetzt. Aus dieser Funktion
leitet sich auch die Wortherkunft ab (lat. mys = Muskel, kinema =
Bewegung).
Zahlreiche Myokine regulieren unser Immunsystem,
Entzündungen sowie verschiedene Auf- und Abbauprozesse im Körper. Dabei sind
sie an der hormonellen Regulation anderer Gewebe (z.B.
Fettgewebe) und Organe (z.B. Leber, Bauchspeicheldrüse, Gehirn) beteiligt.
Das Thema ist auch deshalb so spannend, da wir uns in einem
verhältnismäßig sehr jungem Forschungsgebiet bewegen. 1997 hat man das erste
Myokin (Myostatin) entdeckt und seit Anfang der 2000er Jahre finden
vermehrt Forschungen in diesem Bereich statt. 2007 wurde der Begriff Myokine
durch dänische Forscher um Pederson et al. geprägt. Seitdem konnten etwa 600
– 700 Myokine entdeckt werden [1].
Wahrscheinlich war das Gebiet noch so neu, dass es die
Inhalte noch nicht mal in meine Trainer Ausbildungen geschafft haben. Ich
hoffe, dass es mittlerweile Platz im Lehrplan findet.
Aber es ist doch schön zu wissen, dass Du bei erhöhter
Muskelaktivität ein wahres Arsenal an körpereigenen, heilsamen
Botenstoffen ausgeschüttet, oder? (Wenn das mal kein Grund für
sofortige 10 Kniebeugen ist – bist Du dabei?)
Wie und wo genau wirken Myokine?
Wird Deine Muskulatur in Schwung versetzt, dann schwärmen
eine Vielzahl an Myokinen aus und treten mit anderen Zellen, Geweben und
Organen in Kontakt. Mittlerweile wurde eine überwältigende Zahl an
Wirkungswegen erforscht, weshalb ich Dir die wichtigsten kurz
aufzählen möchte:
- Fettgewebe
(Erhöhung der Lipolyse = Fettdepots anzapfen)
- Braunes
Fettgewebe (stoffwechselaktiv, Vermehrung über Ausschüttung von
Irisin)
- Leber
(Ausschüttung von Glykogen via IL-6 = gespeicherte Glukose)
- Darm
(Stimulation von GLP-1 via IL-6, wichtig im Blutzuckerstoffwechsel)
- Bauchspeicheldrüse
(Ausschüttung von Insulin)
- Knochen
(IGF-1 als Wachstumsfaktoren)
- Gehirn-
und Nervensystem (via BDNF =
Wachstumsfaktor)
- Immunsystem
(IL-6 stimuliert Lymphozyten, Makrophagen)
Am Ende brauchst Du Dich gar nicht so sehr auf die Details
fokussieren. Wichtig zu wissen ist, dass die Myokine zahlreiche regulierende
Prozesse in Gange setzen und damit präventiv als auch in der Therapie
von zahlreichen Erkrankungsbildern relevant sind.
Studien zeigen erste positive Wirkmechanismen, die bei
folgenden Erkrankungsbildern interessant sein können (häufig
wurde dabei übrigens Irisin angegeben, welches auf bei Kältetraining
ausgeschüttet wird):
- Krebserkrankungen
(Prostatakrebs, Brustkrebs)
- Kardiovaskuläre
Erkrankungen
- Neurologische
Erkrankungen
- Metabolisches
Syndrom
- Arthrose
- Darmerkrankungen
- Autoimmunerkrankungen
Damit macht auch Bewegungstherapie als Basis der Behandlung
der genannten Krankheiten umso mehr Sinn.
Sechs Mykonie im Fokus
Lass uns nun einige Vertreter der Mykone und ihre speziellen
Eigenschaften etwas näher unter die Lupe nehmen. Los geht’s.
#1 Myostatin
Myostatin ist wohl das bekannteste Myokin, welches zuerst
entdeckt wurde (1997). Bekannt sind Dir vielleicht die Bilder von
übermuskulösen Bullen oder Mäusen, bei denen ein Gendefekt im Bereich der
Myostatin Bildung vorliegt.
Myostatin ist ein Regulator des Muskelwachstums und
hält die Waage zwischen Auf- und Abbau. Wird zu wenig Myostatin gebildet oder
die Wirkung gehemmt, dann wachsen Muskeln unkontrolliert.
Myostatin ist also wichtig für unsere muskuläre Balance,
denn – so gern es Bodybuilder anders hätten – ein Zuviel an aufbauenden
Prozessen ist weder gesund noch vorteilhaft. So sieht das dann aus:
#2 Interleukin-6 (IL-6)
Wie Du vielleicht oben in der Grafik schon gesehen hast, ist
Interleukin-6 an zahlreichen Prozessen beteiligt. Dies hängt auch damit
zusammen, dass zu den am meisten erforschten Myokinen zählt.
Interleukin-6 wird über die Blutgefäße im Körper verteilt
und wirkt auf unser Immunsystem, unsere Muskulatur, unseren Darm und unseren
Energiestoffwechsel.
Interleukin-6 hat auch negative Eigenschaften, indem es
Signalwege des Muskelverlustes triggern kann. Dauerhaft erhöhte IL-6 Werte
können außerdem Insulinresistenz, Entzündungen und Übergewicht verstärken.
Entscheidend ist hierbei die Balance: Akut erhöhte
IL-6 Werte nach dem Sport sind positiv und normal. Chronisch erhöhte
IL-6 Werte (auch in Abwesenheit von Sport) sind dagegen ein Zeichen für Entzündungsgeschehen.
#3 Irisin
Auf Irisin werden viele der positiven Wirkungen von Sport
auf diverse Erkrankungen zugeschrieben. Studien diskutieren die Wirkungen auf
Krebserkrankungen, metabolische Erkrankungen sowie Alzheimer-Demenz.
Der Botenstoff fördert außerdem die Entwicklung von weißem
Fettgewebe zu stoffwechselaktiven braunem Fettgewebe. Darüber
haben wir schon im Beitrag über kalt duschen geschrieben (Kälte führt
ebenfalls zur Ausschüttung von Irisin).
Als Gegenpart zu Myostatin zeigt sich, dass es die Proteinsynthese
steigern kann und damit Muskelwachstum fördert.
#4 Myonektin
Myonektin kann in unserem Fettstoffwechsel wirksam
werden und sorgt dafür, dass Fettsäuren in die Zelle gelangen und dort durch
die Mitochondrien als Energieträger verwertet werden. Untersuchungen
legen auch nahe, dass Myonektin die Mitochondrien stärken könnte (mitochondriale
Biogenese).]
Es wird auch diskutiert, ob Myonektin potentiell wirksam bei
Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sein könnte – vor allem aufgrund der
Wirkungen auf unseren Fettstoffwechsel.
#5 BDNF
Ein weiteres prominentes Myokin ist BNDF (Brain-Derived
Neurotrophic Factor). BDNF wirkt besonders auf neuronaler Ebene und reguliert
den Aufbau von Nervenzellen, ihr Überleben sowie die neuronale Plastizität.
Auf BDNF können also potentielle Wirkungen für die
Gesundheit unseres Gehirn- und Nervensystems zurückzuführen sein.
Auf muskulärer Ebene wird BDNF bei der Regeneration von
verletzten Strukturen als Signalstoff aktiv, welcher die Proliferation
fördert (erster Schritt der Wundheilung).
#6 FGF-21
FGF-21 (Fibroplast Growth Factor-21) ist auch wieder im
Rahmen unseres Muskelaufbaus und -abbaus interessant. FGF-21 kann das Wachstum
der Skelettmuskulatur triggern.
Außerdem kann es wie auch Myonektin die mitochondriale
Biogenese anheben, was sich wiederum positiv auf unseren Energiestoffwechsel auswirkt.
Wie profitiere ich von Myokinen?
Wie Du siehst übernehmen Myokine zahlreiche, regulierende
Funktionen in unserem Körper. Durch die fortwährende Forschung wird auch immer
klarer, warum Bewegung eine der “wirksamsten Pillen” bei vielen Erkrankungen
ist.
Um die körpereigene Apotheke zu aktivieren musst Du eigentlich
nicht mehr tun, als regelmässig Krafttraining zu absolvieren. Klingt
einfach – ist einfach 🙂
Myokine werden auch schon bei einfachen, alltäglichen
muskulären Kontraktionen ausgeschüttet (beim Treppensteigen, beim Spazieren,
beim Aufstehen und Hinsetzen).
Es zeigt sich aber auch ein exponentieller Anstieg
der Myokin-Ausschüttung mit vermehrter Intensität (so zum Beispiel bei
Irisin).
Als Empfehlung für Dich möchte ich daher drei
Empfehlungen ableiten:
- Alltagsaktivität ist
King (10.000 Schritte pro Tag, Treppensteigen und Co.).
- Führe
2 x pro Woche intensivere Workouts durch (Krafttraining,
Sprints).
- Übertreibe
es nicht – Übertraining verschiebt die Balance ins Negative
(halte Pausentage ein)
Ein weiterer Gedanke, der mir hierbei noch wichtig ist, ist
folgender: Myokine sind Botenstoffe und stoßen Folgeprozesse an (Muskelaufbau,
Fettabbau, Immunaktivität). Der Körper muss jedoch alle Ressourcen haben, um
die darauf folgenden Stoffwechselwege in Gang zu setzen.
Hier kommen wieder Nährstoffe ins Spiel (Magnesium, Vitamin
D, Aminosäuren und Co.). Damit Du also wirklich von Bewegung profitieren
kannst, solltest Du auf volle Nährstoffspeicher achten.
Im Rahmen einer gesunden Muskulatur sind folgende Nährstoffe
besonders wichtig:
- Essentielle
Aminosäuren
- Vitamin
D
- Magnesium
- L-Carnitin
- Zink
Fazit – die Selbstheilungskräfte stärken
Dank der Myokine können wir die körpereigenen Regulations-
und Heilungsprozesse besser verstehen. Das Wissen ums diese Botenstoffe ist
wichtig, da es die Bedeutung von Bewegung und Sport noch mehr in den
Mittelpunkt rückt.
Viele Prozesse unseres Körpers werden erst durch Bewegung
aktiv. Sage und schreibe über 600 Myokine werden dabei in Aktion versetzt –
eine Wirkungsbreite, die keine Pille der Welt ersetzen kann.
Lass das nicht ungenutzt und keep on pumping!!
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