Die Kraft des Fastens


Immer mehr Studien belegen die heilsame Wirkung des Fastens. Wir haben mit Koryphäen auf dem Gebiet gesprochen und stellen ihre Ergebnisse vor. Wobei Fasten nicht mit Diät verwechseln werden darf. Wer abnehmen will, sollte essen. Unser ausführliches Dossier.

Fasten kennt viele Abstufungen. In Deutschland hat dem Meinungsforschungsinstitut YouGov zufolge jeder sechste Erwachsene schon einmal gefastet. 35 Prozent gaben an, Intervallfasten ausprobiert zu haben, etwa ein Viertel Heilfasten. In beiden Fällen lautet das erhoffte Resultat stark vereinfacht: gesünder leben und langsamer altern.

Zwei mögliche Effekte, die in den vergangenen Jahren einen regelrechten Hype rund ums Fasten ausgelöst haben. Bücher, Studien, Podcasts, spezielle Kliniken oder Fastenboxen für zu Hause – das Angebot ist riesig und wächst stetig. Doch was bringt Fasten wirklich? Kann es Alterserkrankungen vorbeugen und ein längeres Leben bescheren? Pfunde schmelzen lassen? Und was weiß die Forschung darüber?

„Ich habe gehört, dass ich die gesamte Fasten-Gemeinschaft geschockt hätte“

Peter Schwarz beherzigt selbst, was er seinen Patienten empfiehlt. Der Professor für Prävention und Versorgung und Forschungsgruppenleiter am Paul-Langerhans-Institut Dresden (PLID) läuft während des Interviews um den Schreibtisch seines Büros. „Mich hat das Mobiltelefon wirklich mobil gemacht“, scherzt Schwarz. Der renommierte Mediziner empfiehlt 20x500 Schritte pro Tag, „um die Phasen der Inaktivität möglichst kurzzuhalten“.

Schwarz, kürzlich zum künftigen Präsidenten der Internationalen Diabetes Föderation (IDF) gewählt, erstaunt die Fachwelt mit beeindruckenden Erfolgen in der Behandlung von Patienten mit Fettleber und Diabetes. Dabei setzt der Mediziner auf eine zweiwöchige Fastenkur in Kombination mit ausreichender Bewegung. Im Gespräch mit unserem Ausbilder Gernot Brecht erklärt Schwarz, warum eine gesunde Leber immense Auswirkungen auf die körperliche Leistungsfähigkeit hat. Dazu beschreibt der Experte detailliert, wie Sie erfolgreich zu Hause fasten.

Gernot Brecht: Herr Schwarz, Sie gehen bei der Behandlung von Fettlebern neue Wege.

Peter Schwarz: Das ist richtig. Die Vorgeschichte dazu ist vielleicht ganz unterhaltsam. Wir führen seit zehn Jahren die Prädiabetes-Lebensstil-Interventions-Studie, kurz PLIS-Studie, durch. Dabei geht es nicht vorrangig um das Krankheitsbild der Fettleber, sondern um die Frage, was bei Prä-Diabetikern den Responder vom Non-Responder im Hinblick auf den Lebensstil unterscheidet. Im Studienprotokoll haben wir festgehalten, dass wir auch Leberfett untersuchen. Wenn viel Leberfett vorhanden ist, fällt eine Änderung des Lebensstils in der Regel deutlich schwieriger. Die Probanden der Studie werden alle sechs Monate einem Ganzkörper-MRT unterzogen, um zu sehen, wie viel Fett in der Leber ist.

Gernot Brecht: Was haben Sie bei diesen Untersuchungen festgestellt?

Schwarz: Wir haben einen Patienten untersucht, dessen Leber zuvor stark verfettet war. Nach sechs Monaten war dieses Fett plötzlich verschwunden. Ich habe also bei Siemens angerufen und dem Techniker dort gesagt, dass unser MRT-Gerät kaputt sei. Der Techniker von Siemens warf dann die Frage auf, ob der betroffene Patient vielleicht eine starke Diät gemacht habe. Er hätte so was bei seiner Arbeit bereits gesehen. Dann habe ich den Patienten angerufen, der mir erzählte, dass er gefastet habe, weil ihm dies von einer Ernährungsberaterin im Rahmen der Studie geraten worden sei.

Gernot Brecht : Wie ging es dann weiter?

Schwarz: Wir haben dieses Phänomen dann auch weltweit in anderen Zentren beobachtet, die an der PLIS-Studie teilnehmen. Mittlerweile gibt es acht Studien, die das Phänomen prospektiv untersucht haben. Mich hat aber vor allem eines von Anfang an fasziniert: Die bloße Präsenz von Leberfett führt dazu, dass körperliche Aktivität nicht mehr wirkt. Die Betroffenen laufen 10.000 Schritte am Tag, es wirkt aber nur wie 2000 Schritte. Körperliche Aktivität ist meiner Meinung nach aber der einzige Weg, um Bauchfett zu beseitigen. Ein Patient mit viel Bauchfett bekommt Diabetes. Wenn dann noch die Leber verfettet ist, wirkt die Bewegung, um das Bauchfett loszuwerden, nicht mehr. Das ist ein Teufelskreis.

Gernot Brecht: Also haben Sie Ihre Patienten fasten lassen?

Schwarz: Ich habe mir gedacht: Wenn Fasten wirkt, dann müssen wir das machen. Im ersten Schritt habe ich es selbst ausprobiert, dann mit Kollegen und Patienten gesprochen und ein Fasten-Protokoll entwickelt. Dieses Protokoll ist ziemlich simpel. Zwei Wochen nichts essen, Wasser trinken, 10.000 Schritte pro Tag laufen und alle vier Tage abführen.

Gernot Brecht: Das klingt, mit Verlaub, sehr radikal.

Schwarz: Mir war eines schnell klar: Wenn das eine Maßnahme sein soll, die vielen Menschen helfen soll, dann darf es nicht stationär gemacht werden. Ich habe dann mit vielen Kollegen diskutiert, wie gefährlich diese Fasten-Methode ist. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass jeder Diabetiker für sich selbst entscheiden kann, mal zwei Wochen nichts zu essen. Jetzt mögen viele von Spinnerei sprechen, aber diese Methode funktioniert am besten. Ich habe knapp 500 Patienten beim Fasten begleitet, aber es in keinem Fall verordnet. Vielmehr habe ich im Gespräch darauf hingewiesen, dass es diese sehr effektive Methode gibt und den Patienten die Entscheidung überlassen. Ich gehe anders an die Sache heran. Die Patienten kommen auf mich zu und wollen fasten. Das ist ein ganz großer Teil des Erfolges. Schätzungsweise 70 Prozent haben sich zu der Fastenkur entschieden, davon haben 90 Prozent durchgehalten.

„Schon nach wenigen Tagen lassen sich viele gesundheitliche Vorteile beobachten“

Schon vor tausenden Jahren haben Menschen gefastet. Der bewusste Verzicht auf Nahrung entspringt religiösen Motiven. Hunger als Akt der Selbstfindung. Festgelegte Fastenzeiten gibt es im Christentum, im Islam und im Judentum. Im Hinduismus ist der Essensverzicht nicht vorgeschrieben, sondern gilt viel mehr als spiritueller Akt, der Körper und Geist reinigen soll. Für Buddhisten gilt Fasten gar als Grundeinstellung, als Weg der Mitte zwischen Völlerei und Hunger.

Lange bevor es Religionen gab, nahm die Natur dem Menschen die Essensplanung ab. Der menschliche Körper ist die Antwort auf die genetische Entwicklung, die einst das Überleben sichern sollte. Über Jahrmillionen hungerten unsere Vorfahren, weil die Natur ihnen nicht hinter jedem Strauch ein Drei-Gänge-Menü servierte. Die Urmenschen aßen immer nur in kurzen Phasen des Tages, sofern sie überhaupt etwas Nahrhaftes gefunden oder bei der Jagd erlegt hatten. Experten sind davon überzeugt, dass der Mensch noch heute mit dieser Art der biologischen Werkseinstellung am besten umgehen kann. Der Mensch sei noch immer auf wiederkehrende Essenspausen programmiert, so der Konsens.

Fastenforscher kommen zu dem Schluss, dass die Rückkehr zum Ur-Programm zahlreiche positive Effekte auf die Gesundheit hat. Sie stützen ihre Erkenntnisse dabei vor allem auf Versuche mit Hefezellen, Mäusen oder Rhesusaffen. Die Untersuchungen kamen meist zum gleichen Ergebnis: Wann immer die Kalorienzufuhr regelmäßig unterbrochen wurde, lebten die Organismen länger. Kann sich diese Kraft des Verzichts gleichermaßen beim Menschen entfalten?

Im Immanuel-Krankenhaus im Südwesten Berlins zählt das Fasten zum festen Behandlungsplan. Es ist die größte von drei derartigen Kliniken im Deutschland; die anderen befinden sich in Essen und Bamberg. Am Kleinen Wannsee, in einer Gegend mit mehr oder minder mondänen Villen, empfängt Andreas Michalsen in einem unscheinbaren Flachbau. Ein langer Flur, kleine Zimmer, weiße Wände. Der Mediziner ist Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde und Inhaber der Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde an der Charité.

Michalsen gilt weltweit als renommierter Ernährungsmediziner und Fastenexperte. In seinem Büro stehen Regale voll mit Studien und Fachbüchern zum Thema, viele hat der Arzt selbst geschrieben. „Mit Ernährung heilen. Besser essen. Einfach fasten. Länger leben“, lautet einer der Titel. An der Garderobe hängen drei weiße Kittel in Größe M. Michalsen ist schlank und leichtfüßig, nur seine grau melierten Haare verraten, dass er die 60 vor zwei Jahren überschritten hat.

Bevor er über sein Lebensthema spricht, möchte der Mediziner etwas klarstellen: „Wir sind ein reguläres Krankenhaus, keine Fastenklinik“. Aber durch die Forschung der vergangenen Jahre habe sich Heilfasten in der Behandlung oftmals etabliert, erklärt er. „Wir wenden Fasten bei fast jedem Patienten an.“

Und Michalsen hat eine Mission: Er will die Vorteile des bewussten Nahrungsverzichts der breiten Masse zugänglich machen. „In einer gewöhnlichen internistischen Klinik, in der Diabetes, Bluthochdruck, Rheuma oder Darmentzündungen behandelt werden, bleiben die meisten Menschen heutzutage drei bis vier Tage“, sagt der Professor. Statt wie in früheren Zeiten der Chefarzt legt in Deutschland heute das sogenannte Fallpauschalsystem die Aufenthaltsdauer der Patienten je nach Diagnose fest. „Wir in der Fastenmedizin haben aber immer gewusst, dass wir mehr Zeit brauchen“, erklärt Michalsen.

Um sowohl Zeit als auch Geld für die naturheilkundliche Behandlung zu bekommen, legte der Professor belastbare Studien und Qualitätssicherungsdaten bei Krankenkassen und Gesundheitsbehörden vor. Zwei Jahre habe dieser „Kampf“ gedauert. Nach dem erfolgreichen Ringen mit den Vertretern des Gesundheitssystems, die den komplizierten Krankenhauskatalog verwalten, bleiben die Patienten nun bis zu zwei Wochen am Kleinen Wannsee.

„Schon nach wenigen Tagen in diesem Fastenstoffwechsel lassen sich viele gesundheitliche Vorteile beobachten“, erläutert Michalsen. „Blutdruck und Blutzuckerspiegel sinken, Entzündungen werden ausgebremst.“ Fasten könne also bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder entzündlichen Erkrankungen helfen. Darin stimmten seit gut 15 Jahren Forscher weitgehend überein. Doch ist da noch ein weiterer Effekt, der den Chefarzt und seine Kollegen von der Kraft des Fastens überzeugt.

Beim Thema Körpergewicht sieht sich das Fasten allerdings mit einem weitverbreiteten Irrtum – einer falschen Hoffnung – konfrontiert. Der bewusste Verzicht auf Nahrung ist eine medizinische Maßnahme, keine Diät. Ein Zurücksetzen des Stoffwechsels und zahlreicher Hormonsysteme, ein Neustart für das Essverhalten. Das Gewicht nimmt ab, weil Fastende langfristig – egal ob beim Heil- oder Intervallfasten – weniger Kilokalorien zu sich nehmen.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie bekomme ich mein Bauchfett los ?

Effektiver-Gewichtsverlust für Frauen durch gezieltes Muskeltraining

Muskelaufbau auch ohne Muskelversagen möglich ?